Buchbesprechung

Die Biologie der Liebe von Arthur Janov, Ph.D., 2000,

Prometheus Books, 59 John Glenn Dr, Amherst, New York, $25.95, 364 Seiten


Für die meisten von uns bedeutet die gründliche
Erforschung der dunklen Abgründe unserer frühesten
Erinnerungen, den vollständigen und äußersten
Terror des Todes wiederzuerleben.
Und Sie ahnen es kaum, genau dort findet die größte
Abrechnung statt.
-Ein Patient, zitiert in Die Biologie der Liebe


Besprechung von John A. Speyrer


Gustav Klimt - "Drei Lebensalter"


ES ist schwierig, die Bücher Arthur Janovs zu rezensieren, weil sie so überaus vielfältiges und interessantes Material beinhalten. Es ist, als sei man bei einem üppigen Bankett und könne sich nicht entscheiden, welches Essen man wählen solle. Einige der Buchbesprechungen, die ich gemacht habe, betrafen Bücher, die nur ein einziges mit Primärtherapie zusammenhängendes Kapitel besaßen oder sogar weniger.

Ich war nicht sehr daran interessiert, über die Neurologie des Gehirns zu lesen, über Physiologie und die Rolle der Neurotransmitter. Wenn es Ihnen wie mir ergeht und Sie nicht besonders an diesen oder jenen Themen interessiert sind, denen das Wörtchen "neuro" voransteht, dann springen Sie zur zweiten Hälfte des Buches. Aber seien Sie vorgewarnt, wenn Sie das tun, werden Sie einige interessante Fallstudien verpassen, die zwischen diese Themen eingestreut sind.

Dr. Janov, der Begründer der Primärtherapie und ihr oberster Repräsentant, hat ein interessantes Buch geschrieben, in dem er die allgemein gebräuchliche Definition von Liebe erweitert, so dass sie nicht nur die fürsorgliche Beziehung der Mutter zu ihrem Kind umfasst, wie die Befriedigung seiner Bedürfnisse nach Zärtlichkeit und Wichtigkeit, sondern auch die Liebe für den sich entwickelnden Fetus einschließt. Das bedeutet, es ist Liebe, dem Fetus das zu geben, was er braucht, um sich zu einer vollständigen Persönlichkeit zu entwickeln.

Wollte man das ganze Buch in einem einzigen Satz zusammenfassen, so würde das lauten: Ein ungeliebtes Kind hat eine andere Art physischen Gehirns als ein geliebtes Kind. Der Schaden ist nicht einfach psychologisch. Er ist neurologisch und deshalb physisch. Letzten Endes sei es der Mangel an Liebe, der uns vor unserer Zeit unter die Erde bringe, schreibt Janov. Er glaubt, dass frühes Trauma eine Reduktion funktionierender Gehirnsynapsen (-verknüpfungen) verursacht. Bedeutet das, Sie sollen mit ihrem Baby in utero reden? Nein, anders als einige Autoren über Regressionstherapie geht Janov nicht so weit. Stattdessen schreibt er darüber, wie wichtig es ist, dass die schwangere Mutter nicht raucht und wenig oder keinen Alkohol trinkt und im allgemeinen Sorge für ihre eigene Gesundheit trägt, wenn ihr Kind heranwächst.

In dem Abschnitt mit dem Titel "Wie man ein Gehirn liebt" erklärt Dr. Janov, dass Sauerstoffmangel während der Geburt oder vorher vom Fetus ebenso als Mangel an Liebe wahrgenommen wird wie ein Mangel an Berührung vom Kind nach der Geburt. Wir zeigen einem Kind Liebe, indem wir es berühren. Viele seiner Patienten, schreibt er, leiden unter Berührungsdeprivation.

Indem er Datenmaterial aus der Primärtheorie massiv mit Neurophysiologie, Neurochemie und Neuroanatomie durchsetzt, vertritt der Autor seinen Standpunkt, dass es nicht nur die Geburt ist und die Periode unmittelbar nach der Geburt, die Neurose verursacht, sondern dass auch sehr frühe intrauterine Angriffe auf den Fetus das aufwachsende Kind für den Rest seines Lebens schädigen können. Er schreibt nicht von der sehr, sehr frühen Periode der Schwangerschaft, wie den Traumen der Empfängnis und Implantation.

Dr. Janov hat wieder ein Buch verfasst, das herrlich prägnante und markige zitierbare Sätze auf nahezu jeder Seite aufweist. Zu einigen meiner Favoriten gehören:

  • "Die wichtigste Phase der Kindererziehung findet während der neun Monate der Schwangerschaft statt."

  • Drogen nehmen den chemischen Platz verweigerter Liebe ein. Oft hat Hypersexualität nichts mit dem Sexualtrieb an sich zu tun. Die "Hoffnung(slosigkeit) des sexuellen Bedürfnisses steht im Einklang mit der frühen Liebesdeprivation...."

  • In der Diskussion des Suiziddrangs schreibt Janov: "Es ist nicht oft der Fall, dass die Person sterben will. Es ist vielmehr so, dass das Imprint Ý (die Einprägung, Anm. d. Übersetzers) darin besteht, dass der Tod die Agonie beenden kann. Es ist diese Gleichheit mit der Geburt, die die Person sowohl zum Tod hin als auch von ihm weg treibt."

  • "Soviele meiner Patienten kommen herein.....und erzählen mir, dass sie eine sehr gute Kindheit hatten. Monate später winden sie sich auf der gepolsterten Matte und beklagen ihr frühes Elend.....Niemand redet dem Patienten diesen Schmerz ein. Er ensteht daraus, dass jemand seine Kindheit wieder aufsucht. Wenn wir in unseren persönlichen Gehirnakten herumstöbern, kann uns niemand sagen, was wir finden können."

  • "In der Regel sterben wir nicht an Übergewicht....Wir sterben an dem Liebesmangel, der uns übermäßig essen lässt."

  • Zu Drogen Nein zu sagen, schreibt Dr.Janov, bedeutet Nein zu sagen "zu einem ganzen Leben voller emotionaler Deprivation (und) ist nicht leicht getan." "Es ist merkwüdig", schreibt er, "wegen des Gebrauchs ein abschätziges Etikett angeheftet zu bekommen, weil wir den Schmerz abtöten müssen. Aber wenn wir an einem quälenden Imprint aus der frühen Kindheit leiden, das genauso real und schmerzvoll ist wie ein gebrochenes Bein, werden wir vielleicht als Süchtige eingeschätzt." "Der Konsum illegaler Drogen ist.....kein krimineller Akt", schreibt er, "Es ist ein Akt des Überlebens. Niemand müsste seinem System massive Mengen an Schmerzkillern zuführen, wenn er keine Schmerzen hätte."

  • "Für alle meiner schwer rauchenden Patienten war das Geburtstrauma ausschlaggebend. Dasselbe gilt für die Alkoholiker."

  • "Keine Furcht befindet sich ohne Grund in unserem System. Wenn wir versuchen sie zu besiegen, machen wir sie zum Feind. Sie ist ein Freund, der uns von einem gelebten Leben erzählt, von Erfahrungen, die wir vergessen haben, und Schmerz, den wir begraben haben."

  • "Homosexualität beginnt so früh, dass sie genetisch bedingt scheint."

  • "....gäbe es kein vorgeburtliches und geburtliches Trauma, und wäre da viel Liebe nach der Geburt, würden wir keine Panik-und Angstzustände sehen."

  • "Es kommt nicht darauf an, wieviele Male Sie das Baby anschauen, wieviele Male sie es halten; es kommt auf diese nicht greifbare Liebe an, die Sie fühlen, während Sie das tun."

  • "Nicht nur ein Schlag auf den Kopf kann Gehirnschäden verursachen; einfache Vernachlässigung kann das auch leisten."

  • "Wenn es etwas gibt, das die emotionale Deprivation einbezieht, dann ist es der Mangel an Berührung und Fürsorge von ganz früh an."


Janovs Ansatz zum Verständnis des intrauterinen Traumas ist ein höchst konservativer, besonders wenn man betrachtet, was andere über Erfahrungen geschrieben haben, die ihrem Glauben nach vom Fötus wahrgenommen werden können. Dr. Janov schreibt, dass negative mütterliche Empfindungen zu Veränderungen wichtiger biochemischer Sollwerte führt, aber er betritt nicht das Reich der Spekulation, wohin andere sich vielleicht voreilig gewagt haben.

Diese anderen haben geschrieben, dass die Gefühle der Mutter durch den "Nabelschnur-Affekt" auf den Fetus übertragen werden können, nicht unbedingt biochemisch, sondern durch eine gewisse unbekannte telepathische Kommunikation. Wenn also die Mutter in spe es bedauert, dass sie schwanger ist, wird der Fetus diese spezifische gegen ihn gerichtete Emotion und seine Unerwünschtheit körperlich spüren. Janov glaubt, dies sei wild wuchernde Spekulation und er will nichts dergleichen zulassen.

Ironischerweise sind Attacken des psychiatrischen Establishments der Dank, den Janov für seinen Konservatismus erhält. Ich glaube, das rührt daher, dass Janov der weithin Bekannteste in seinem Fachgebiet ist. Dem Entdecker eines Wissenszweigs wird kein Pardon gegeben, wenn das psychiatrische/psychologische Establishment so konservativ ist, dass es noch immer nicht die Möglichkeit anerkennt, dass man das Geburtstrauma wiedererleben und auflösen kann.

Es ist bewundernswert, auf dem Gebiet der prä-und perinatalen Psychologie konservativer zu sein als andere, aber es bedeutet, dass möglicherweise manchmal die anderen manche Realitäten (und viele Spekulationen!) diskutieren, währen der konservative Theoretiker -wie Dr. Janov- vielleicht gewisse Wahrheiten wegen unzulänglicher Beweise übersieht.

So war es, als Janov die Meinungen von Neurologen, deren Rat er suchte, nachbetete und behauptete, dass Geburtsprimals psychologisch unmöglich seien. Andere Regressionstheoretiker hatten diese Wahrheit schon seit vielen Jahren anerkannt. Es war seine Abneigung, die Gültigkeit des Geburtsurerlebnisses anzuerkennen, die einen Bruch im Primal Institute zur Folge hatte, als mehrere Therapeuten und Patienten weggingen, um das Denver Primal Center in den 1970er Jahren zu gründen.

Ein weiteres Beispiel: In Die Biologie der Liebe räumt Janov die Möglichkeit ein, dass der Fetus im Mutterleib weint. Viele Jahre lang glaubte er nicht, dass dies möglich sei und sagte, dass das Wiedererleben des fötalen Traumas nicht von Weinen begleitet sei, weil Föten nicht weinen. Andere hatten dieses "Weinen-im-Mutterleib-Phänomen" sowohl klinisch als auch experimentell seit den frühen 1970ern beobachtet.

Welche Achtung erhält Dr. Janov dafür, dass er sich nicht in eine waghalsige Lage begiebt, sondern stattdessen die Primärtheorie auf einem wissenschaftlich begründeten Fundament aufbaut? Wenig Achtung oder gar keine. Trotz seines vorsichtigen Konservatismus wird er noch immer vom Establishment als zu extrem in seinen Ansichten verhöhnt. Es kommt ein wenig dem gleich, an Integration zu glauben, während Ihre Kollegen noch immer an die Sklaverei glauben!

Nachdem somit alles gesagt und erklärt ist - hat ein Fetus eine Erinnerung an die negativen und positiven Emotionen seiner Mutter, wie einige Regressionstheoretiker seit Jahrzehnten behauptet haben? Janov sagt Ja, aber das Ja wird modifiziert durch die Einschränkungen der Neurochemie. In Die Biologie der Liebe schreibt er: "Existiert fötale Erinnerung? Ja, im neurochemischen Sinne. Haben wir eine Erinnerung an all das? Ja, aber im Sinne neurochemischer Änderungen, nicht im Sinne von Szenen, Worten oder Gefühlen." (Seiten 340-341)

Er will keine jener "Nabelschnur-Affekt"- Theorien zulassen, die angeblich ein direkter Gefühlsdraht zu den Emotionen der Mutter sein sollen, und von denen der Fetus zum Beispiel lernen könne, dass seine Mutter und sein Vater während der Schwangerschaft ständig miteinander stritten oder dass er unerwünscht ist und bei der Geburt nicht willkommen sein wird.

Regressionstherapeuten überall auf der Welt beobachten seit Jahrzehnten, dass der Fetus erkennt, dass er eine(n) Zwillingsbruder/schwester in utero hat. Wenn der Zwilling stirbt und absorbiert wird (bemerkenswert häufig) oder durch Abort umkommt, glauben viele, das der überlebende Zwilling dies weiß und als Folge im Mutterleib, in der Kindheit und im Erwachsenenleben an Depressionen leiden könne. Viele Therapeuten behaupten, der überlebende Zwilling könne ein ganzes Leben damit verbringen, nach dem toten Zwilling zu suchen. So weit ich weiß hat Dr. Janov nicht anerkannt, dass psychologische Reaktionen auf den Verlust des Zwillings in utero möglich seien. Das "verlorener-Zwilling"-Syndrom erscheint häufig in den Praxen anderer Primal-orientierter Therapeuten.

Ein anderer umstrittener Bereich ist die Frage, ob das Wiedererleben eines "Vorlebens" real sei. Janov schreibt, dass es sie nicht gibt. Er glaubt, dass solche Erfahrungen Symbole aufgrund von "Überlastung" seien. Andere Therapeuten helfen ihren Klienten für gewöhnlich ungeachtet ihrer persönlichen Überzeugung, die Traumen der "vergangenen Leben" zu integrieren.

Eine solche Überlastung mit "Urschmerz", schreibt Dr. Janov, kann auch bewirken, dass eine Person spiritueller wird. Janov sieht die Existenz der Spiritualität als Beweis per se für die Existenz nicht-integrierten "Schmerzes". Andere regressive Psychiater einschließlich Stanislav Grof, Graham Farrant und und anderen glauben, dass Themen der Spiritualität für Patienten immer wichtiger werden, sobald die Tiefen ihres Schmerzes gefühlt und aufgelöst sind. Sie glauben, dass Spiritualität eine natürliche Konsequenz der Therapie an sich sei.

In der Diskussion des Problems, ob man solche Ideen wie oben erörtert als real akzeptieren könne, schrieb Ashley Montague im Vorwort zu Elisabeth Nobles Primal Connections (das viele Spekulationen über Empfängnis- und Implantationstraumen beinhaltete) ziemlich freundlich und großzügig, dass:

. . . Spekulation das Herzblut des Wissenschaftlers ist. . . Der Wissenschaftler glaubt an Beweise ohne Gewissheit, während andere an Gewissheit ohne Beweise glauben. Aber bevor man zum Beweis kommen kann, muss man spekulieren, sogar phantasieren. Der Trick besteht natürlich darin, nicht in den Irrtum zu verfallen, seine Spekulationen oder Phantasien als Fakten oder Gewissheiten misszuverstehen.

Viele der Spekulationen auf diesem Feld prä- und perinataler Psychologie werden sich von ihrer ureigenen Natur aus unmöglich beweisen lassen.

Ich glaube, dass Die Biologie der Liebe ein emminent lesenswertes und interessantes Buch ist, obwohl ich bestürzt war, als der Autor schrieb, dass Atmungstherapien wie holotrope Atemarbeit nur zeitweise die Spannung und Symptome erleichtern, aber nichts mit Erinnerung zu tun haben.

Während Stan Grofs holotroper Atemarbeits - Sitzungen habe ich einige der tiefsten Primals - ja, Primals! - erfahren, die ich jemals gehabt habe. Ich hatte nur zwei Serien von Atemarbeit-Sitzungen, aber die umfassten einige der klarsten frühen Erinnerungen, die ich jemals erfahren habe; z.B. eine Tonsillektomie mit detaillierten visuellen Komponenten aus dem Alter von fünf Jahren. Abgesehen von den transpersonellen Erfahrungen, die oft in holotroper Atemarbeit geschehen, glaube ich, dass die therapeutischen Wieder-Erlebnisse an sich in der Atemarbeit identisch, wenn auch vielleicht oft tiefer sind.

Ich war glücklich, Dr. Janovs Meinungen über das Falsche-Erinnerung-Syndrom zu lesen, obwohl es als solches nicht anerkannt wird. Viele Regressionstherapeuten behandeln dieses Syndrom, als sei es eine heisse Kartoffel - sehr behutsam. Janov glaubt, dass Erinnerungen, auf die im Laufe der Primärtherapie zugegriffen wird, verifizierbar sind. Er schreibt, dass diese Erinnerungen solange von anderen Therapeuten nicht kritisiert werden sollten, bis sie selbst die Fähigkeit besitzen, tiefen Zugang zu sich selbst zu erlangen. Einfache Erinnerung, mahnt er seine Leser, sei nicht dasselbe wie Wiedererleben.

Dr. Janov glaubt, dass einige Traumen vielleicht nicht die Schuld der Mutter sind, und schreibt, dass das Neugeborene manchmal wegen Krankheit von seiner Mutter getrennt werden muss. Dies kann das Kind fühlen lassen, dass es verlassen worden und ungeliebt ist. Und wiederum kann der wahrgenommene Liebesmangel unrichtig sein, wenn zuviele Geschwister da sind oder andere chronisch kranke Geschwister, mit denen die Eltern unverhältnismäßig viel Zeit in Distanz zu einem Kind verbringen müssen, das sich dann ungeliebt fühlen mag.

Kaufen und lesen Sie Die Biologie der Liebe. Es ist ein weiteres faszinierendes Buch von Arthur Janov, Ph. D. Der Text auf der Innenseite der Buchhülle sagt, dass dieses Buch das zwölfte sei; Ich zähle 10.


Anm. d. Übersetzers:

Die Biologie der Liebe ist zur Zeit nicht in deutscher Sprache erhältlich. Der S. Fischer Verlag, der bisher Dr. Janovs Bücher in Deutschland publizierte, wird aufgrund einer Änderung des wissenschaftlichen Programms keine weiteren Janov - Bücher herausbringen.

Das Buch ist über amazon.de und eventuell andere Anbieter im Web in englischer Sprache erhältlich.

*Imprint" ist ein zentraler Begriff der Primärtheorie, der viele Komponenten umfasst und sich durch keinen deutschen Begriff angemessen übersetzen lässt.

EMaK www.emak.org ist eine Webseite für Erwachsene Misshandelt als Kinder. Über die Erfahrungen einer misshandelten Kindheit zu sprechen ist oftmals der erste Schritt auf einem langen Weg die unsichtbaren Wunden zu heilen.

-- Sieglinde W. Alexander



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