Der Ursprung der Angst vor dem Tod und vor dem Sterben Die Meinung von Dr. Frank Lake

(Verstorbener englischer Theologe und Psychiater)


Von John A. Speyrer
Unsere. . ."Gehirne erschaffen Körperzustände als ein Ergebnis
kontinuierlicher Bewertung der Bedeutung von Ereignissen und von Gedanken."

"Körperzustände und Gefühle werden erinnert, wiedererschaffen oder simuliert als Ergebnis der ständigen Suche des Gehirns nach Information, die zu den gerade erfahren, erinnerten oder bewerteten Bildern, Tönen, Gefühlen, Geschmacksempfindungen, Gedanken und Ideen passen oder in einem Bezug dazu stehen."

-- Doyle P. Henderson in Panacea! - The Ultimate Alternative?

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"Wurde der große Ur-Schmerz - die Nahtoderfahrung während der Geburt - viele, viele Male wiedererlebt, dann verschwindet die Besessenheit mit dem Tod als einer Lösung."

- Dr. Arthur Janov, Why You Get Sick, How You Get Well

Ich war überrascht und verwirrt, als mir vor dreißig Jahren ein Freund anvertraute, sein Vater habe sich aus Furcht vor dem Sterben selbst getötet. Der Arzt hatte die Diagnose gestellt, er habe Arteriosklerose in einem weit fortgeschrittenem Stadium und ihm mitgeteilt, dass er nicht mehr lange zu leben habe.

Damals kam mir der Bericht meines Freundes über den Suizid seines Vaters ganz und gar widersinnig vor. Warum sollte eine Person es als Lösung ihrer inneren Not betrachten, genau das zu tun, was die Quelle ihres Schreckens ist?

Erst dreißig Jahre später sollte ich eine Antwort auf diese Frage erhalten. Als die Antwort schließlich kam, war sie das Ergebnis persönlicher Einsicht - wobei die Antwort in einer Form kam, wie ich sie so lieber nicht empfunden hätte. [Siehe meinen Artikel The Fear of Death: On Dying in The Birth Canal.]




Einleitung

Frank Lake wurde 1914 in England geboren. 1937 beendete er sein Medizinstudium als Arzt. Da er immer ein besonderes Interesse für Theologie und deren Verbindungen zur Psychiatrie hatte, wurde er als Mediziner Missionar in Indien. Nachdem er 1950 aus Indien nach England zurückgekehrt war, bildete er sich weiter zum Psychiater.

1954 begann man in Europa und in den USA damit, das in der Schweiz entdeckte LSD psychotherapeutisch einzusetzen. Dr. Lake erkannte früh, dass diese psychedelische Droge ein ausgesprochen wirkungsvolles Mittel war, um die Abwehr der Patienten zu senken, als bei diesen häufig schmerzliche frühkindliche Erinnerungen auftauchten. Was ihn aber besonders überraschte, war die Häufigkeit, mit der seine Patienten anfingen, das Trauma ihrer Geburt wiederzuerleben.

Obwohl Lake ursprünglich glaubte, es sei unmöglich, das Trauma der Geburt wiederzuerleben, bestätigte doch die Durchsicht einer Reihe von Krankenblättern seiner Patienten, dass ihr Wiedererleben genau das widerspiegelte, was in den Aufzeichnungen über ihre Geburt festgehalten war. Daraufhin kam Lake zu der Überzeugung, dass seine Patienten in der Tat ein wirkliches biographisches Ereignis wiedererlebten.

Seine frühen LSD-Seminare hielt er innerhalb des anglikanischen Klerus in ganz Großbritannien. Später hat er diese Gruppen erweitert und auch Sozialarbeiter, Krankenschwestern, Ärzte und andere Mitglieder des Gesundheitswesens mit einbezogen. ( Siehe auf dieser Webseite auch Lakes Birth Trauma, LSD and Claustrophobia )

Die Schriften und Experimente des Russischen Neurologen Ivan Pavlow zu Stressphänomenen haben Lakes Denken über das Trauma der Geburt stark beeinflusst. Die Entdeckung dieses Konzepts durch Pavlow geschah durch einen vom Glück begünstigten Zufall.

Als in einem überfluteten Laborkeller eingesperrte Hunde kurz vor dem Ertrinken gerettet worden waren, stellte Pavlow fest, dass die Tiere sowohl andauernde ( nervöse ) Reaktionen von Übererregung davon getragen als auch ihr zuvor konditioniertes Verhalten verloren hatten.

Lake übernahm Pavlows Konzept des überschwelligen Stresses, da er feststellte, dass dessen Theorie ebenso auf einige seiner Patienten anwendbar war - die Patienten, die die gravierendsten Geburtstraumen erlebt hatten.


Die vier Grundmuster der Geburt

Frank Lake stellte fest, dass die Geburt, als Trauma betrachtet, in vier unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden kann:

  • Die erste ist die der zwanglosen Geburt, da hier der Fötus erwartungsvoll dem Eintritt in eine neue Daseinsphase entgegensieht und diese Erwartung erfüllt wird. Das ist die typische "gute" Geburt, in der der Fötus die Überzeugung gewinnt, dass das Leben eine Herausforderung ist, die er meistern wird und dass auftretende Schwierigkeiten vorübergehender Natur sind und von ihm überwunden werden. Die im Verlauf der Geburt gemachten Erfahrungen dienen als Lebensskript und Optimismus ist die Grundstimmung. Die anderen, unten aufgeführten Stadien treten nicht auf.

  • "Die zweite Stufe tritt auf, wenn sich der Geburtskanal nur unter Schwierigkeiten erweitert oder wenn der Beckenknochen zu eng ist, um den Kopf durch zu lassen, zumindest bevor nicht erhebliche Verformung stattgefunden hat."

  • Das körperliche und seelische Leid des Fötus ist umfangreicher und / oder die Dauer der Geburt länger als auf der ersten Stufe. Und das Baby, das dabei ist, geboren zu werden, möchte in die bequeme Gebärmutter, die es gerade verlassen hat, zurück.

  • Auf der dritten Stufe "ist der Kopf im Becken eingeklemmt und kann weder vor noch zurück. Der Wunsch, in die Gebärmutter zurück zu kehren, ist ebenso aussichtslos wie die der Wunsch, vorwärts zu kommen. Nur eine Anstrengung ist möglich, nämlich, trotz wachsender Qual, Quetschung des Kopfes und Sauerstoffmangels, am Leben zu bleiben. Nicht selten hat die Persönlichkeit eines Menschen, der unter Angstzuständen leidet, in dieser biologischen Notsituation ihren ersten und wichtigsten Ursprung."


Im späteren Leben kann eine solche

" . . . Person mitten in der Nacht mit einem intensiven Panikgefühl, Herzrasen, Atemnot, schwitzend, mit extremem Hitze- oder Kältegefühl aufwachen und obwohl dieser Kampf sich klar darum dreht, am Leben zu bleiben, sieht es doch so aus, als stünde der Tod schon hinter der Tür. Ist dieser Notfall vorüber, macht sich ein starkes Gefühl der Erleichterung breit darüber, mit dem Leben davon gekommen zu sein und dass Platz da ist, sich umdrehen, sich zu bewegen und atmen zu können.

  • Erst auf der vierten Stufe entsteht sowohl der Wunsch zu sterben als auch die Angst davor. Dies ist dann die Stufe, wo die Gefühle, auf die Pavlow mit seinem Konzept des überschwelligen Stresses Bezug nimmt, ihren Ursprung haben.

    "Es gibt eine Obergrenze dessen, was ein beliebiger Organismus an Schmerzen und an panischer Angst aushalten kann. Wenn diese Grenze erreicht wird, geschieht eine plötzliche, dramatische und nachdrückliche Neuorientierung der Willensrichtung. Anstatt ums Überleben zu kämpfen, kämpft der Organismus jetzt darum, zu sterben. Unter derartigen Umständen zu leben ist unerträglich. Der Tod ist dem vorzuziehen.

    Es ist das Gefühl eines Menschen, in dem

    " das Entsetzen des Schmerzes, geboren zu werden, so groß sein kann, dass der Wunsch zu sterben nahezu vollständig das vormalige Streben, am Leben zu bleiben, ersetzt. Tatsächlich wandelt sich die Heftigkeit des ursprünglichen Strebens, automatisch und ohne willentliches Zutun zu dem des späteren, wo die reine Unerträglichkeit des Schmerzes Oberhand gewinnt. Wie bei Hiob ist das allumfassende Bestreben das, von der Gebärmutter direkt ins Grab zu gelangen. Und wirklich wurde ja der Austritt aus der Gebärmutter zum Grab der natürlichen Hoffnung des Babys auf ein sicheres und freundliches Universum. Insofern ein Gefühl persönlichen Identität hier, in dieser Erfahrung, seinen Ursprung nimmt, handelt es sich um die Identität eines Menschen, dessen Geist in schizoider Stellung verharrt, welche Abwehr er dagegen auch immer aufgebaut haben mag. Irgendwie ist es die Identität eines Menschen, der immer fühlen wird, dass der Tod dem Leben vorzuziehen ist."

    "Diejenigen, die höchst aktiv in ihrem Willen zu leben waren, streben nun ebenso aktiv danach, zu sterben und setzen alles daran, das auch zu erreichen. Ähnlich werden diejenigen, die passiv und lauwarm in ihrem Lebenswillen waren, auch so bleiben, wenn dieser sich zum Willen zu sterben gewandelt hat."


    Wenn die ersten Stadien der Wehen glatt verliefen und davor ein glückliche Reifungszeit in der Gebärmutter lag, so der Autor, versucht die Person, die ursprünglich positive Einstellung als charakteristische Identität beizubehalten. "Wenn aber diese Erfahrung und die Erinnerung daran mehr oder weniger vollständig von der vernichtenden Wirkung des überschwelligen Stresses zerstört wurde, dann erscheint keine lebendige Identität es wert, bewahrt zu werden."

    Wie Pavlows Hunde ihre vorausgegangene Konditionierung in Folge des Fast-Ertrinkens verloren hatten, verliert der Fötus in von überschwelligem Stress gekennzeichneten Geburtswehen seine ursprüngliche, in der Gebärmutter angenommene Haltung, dass das Leben erfreulich und der Mühe wert ist. Die gesamte davor liegende, positive intrauterine Prägung wird dann ausgelöscht sein.

    Lake erwägt die Frage, wie vernünftig es ist, zu behaupten, dass die Einzelerfahrung eines katastrophalen Geburtserlebens den Verlauf des Lebens derart verändern kann "sogar bis hin zu der Entscheidung darüber, ob das Selbst soziales Verbundensein zulassen kann oder nicht?"


    Es kommt zu dem Schluss dass,

    "die Tatsachen dafür sprechen, dass ein Leiden im Verlauf der Geburt, das die Grenze des Erträglichen überschreitet, die Ursache gravierender und lebenslänglicher Veränderungen im Bereich der persönlichen Identität bewirkt. In Verbindung mit konstitutiven und ererbten Faktoren, die das Maß dessen bestimmen, wie viel Schmerz ertragen werden kann, wie lange und in welcher Weise, ob eher aktiv oder passiv, scheint es eine Tatsache zu sein, dass, wenn die Schädigung bei der Geburt das vierte Stadium an unerträglicher Schmerzerfahrung bedeutet, sich das dann in der sozialen Matrix ausdrückt als Vermeiden von Einbindung, Engagement und von sozialer Verwurzelung."


    Dr. Lake stellte 1970 den Gebrauch von LSD ein. Er hatte festgestellt, dass Tiefenatmung in Verbindung mit der Janov'schen Therapie ebenso, wenn nicht noch effektiver, als LSD-Therapie ist.

    [Obige Zitate stammen aus Lakes Personal Identity - It's Origin, Seiten 7-9)

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    Zustimmung durch andere Theoretiker der Regressionstherapie

    Arthur Janov, Ph.D. der Entdecker der Primärtherapie, schreibt in Imprint: The Lifelong Effects of the Birth Experience, dass zuweilen ". . . der Tod jetzt eine Lösung darstellt, weil der nahe Tod damals die einzige "Lösung" des Geburtstraumas" war. "Tod wird als die Antwort eingeprägt und unter geeigneten Umständen wird er zur einzigmöglichen Lösung der Probleme des Lebens. Suizidale Verzweiflung ist in den meisten Fällen eine Erinnerung and Todesnähe. "Diejenigen, die die Todeserfahrung während und im Umfeld der Geburt [therapeutisch] wiedererleben, scheinen endlich diese Fixierung auf Tod und Suizid aufzulösen."

    Dr. Janov beendet das Kapitel über Suizid als eine Lösung der Geburtsproblematik mit den folgenden beiden Abschnitten:

    Es mag seltsam erscheinen, dass diese wenige Minuten um die Geburt darüber entscheiden, ob jemand später in seinem Leben Suizid in als eine ernstliche Alternative betracht, aber die Beweise aus der Primärarbeit, dass dem so ist, sind überzeugend. Suizidversuche sind Versuche, zurück und in die Nähe dieses Todesgefühls zu kommen. Sie sind eine Art, noch einmal diese ursprüngliche, physiologische Erfahrung zu erlangen, bei der erstmals das Baby in Todesnähe kam - um das Leben zu gewinnen.

    Dies bedeutet, dass Suizid in Wirklichkeit ein Versuch ist, zu heilen. Er ist nichts weniger als der Versuch, den Tod zu überwinden. Er ist, letztendlich, ein Beweis für die Gewaltigkeit des Primärschmerzes: man möchte lieber sterben, als diesen zu fühlen. Und nicht ganz zufällig macht gerade das Fühlen dieses frühen Sterbens es möglich, Suizidgefühle hinter sich zu lassen, und zwar auf Dauer. (ebenda, S. 222 )


    Die körperlichen und seelischen Schmerzen eine traumatischen Geburt zu fühlen war immer schon eine besonders schmerzliche Phase in einer Primärtherapie. In der Anfangszeit der Primärtherapie wurden psychiatrische Medikamente, die die manchmal des-integrierenden Effekte, die das Widerleben solcher Traumata begleiten kann, lindern, nicht verwendet. Man nahm an, dass solche Medikamente "nicht benötigt würden und entweder den Patienten behindern, indem sie Gefühle blockieren oder zum Auslassen einzelner Ebenen der Empfindung führen" (Arthur Janov, Primal Man: The New Consciousness, S. 438-438 ) Diese Position gilt so heute nicht länger.


    In seinem jüngsten Buch, The Biology of Love, schreibt Janov

    "Es kommt nicht oft vor, dass das Individuum sterben will. Eher liegt die Prägung vor, dass Tod den Todeskampf beenden kann. Es ist diese Gleichsetzung von der Geburt her, die einen Menschen sowohl hin zum als auch weg vom Tod treibt. Wenn dazu noch Hoffnungslosigkeit kommt, entsteht ein Gefühl von bevorstehendem Tod, zugleich mit dem Gefühl, der Versuch, daran etwas zu ändern, sei sinnlos."


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    Nach Dr. Stanislav Grof verweist auch Hypochondrie ( übertrieben irrationale Angst vor Krankheit ) auf die Möglichkeit des Beinahe-Gestorben-Seins bei der Geburt.

    Grof, ein tschechisch-amerikanischer Psychiater, der zur gleichen Zeit wie Frank Lake ausgedehnte Studien mit LSD unternahm, glaubt, dass eine traumatische Geburt vielleicht nicht die einzige Quelle der suizidalen Depression ist, bei der der Tod als Lösung erscheint, aber die prominenteste. In Beyond the Brain schreibt er, dass hypochondrische Symptome vermutlich das Resultat "... gravierender physiologischer Belastungen der Vergangenheit sind, wie etwa Krankheiten, chirurgische Operationen oder Verletzungen --- und insbesondere das Trauma der Geburt."
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    Siehe dazu, auf dieser Webseite, auch:

    On the Origins of the Fear of Dying in the Writings of Michael A. Persinger and Others

    The Fear of Death: On Dying In the Birth Canal


    Über die Erfahrungen einer misshandelten Kindheit zu sprechen ist oftmals der erste Schritt auf einem langen Weg die unsichtbaren Wunden zu heilen. Sieglinde W. Alexander ist der Moderator einer Deutschen Yahoo-Supportgruppe für Erwachsene die als Kinder misshandelt wurden. http://de.groups.yahoo.com/group/aaacworld


    EMaK www.emak.org ist eine Webseite für Erwachsene Misshandelt als Kinder. Über die Erfahrungen einer misshandelten Kindheit zu sprechen ist oftmals der erste Schritt auf einem langen Weg die unsichtbaren Wunden zu heilen.

    -- Sieglinde W. Alexander


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