Ein schrittweiser Zugang zu frühesten Gefühlen


Von Fred Walters
Im Laufe der Entwicklung der Primärtherapie fand ihr Entdecker, Dr. Arthur Janov, heraus, dass es, entsprechend der Evolution des Gehirns, drei verschiedene Stufen von unterdrückten Gefühle gibt. Er prägte für diese Stufen den Begriff der ersten, zweiten und dritten Ebene des Bewusstseins. [Siehe dazu auch Réal Beaulieu's Techniques of Primal Therapy,]. Janov postulierte, dass es beim Herankommen an früheste Gefühle eine natürliche, rückwärts verlaufende Sequenz der Regression durch die dritte, zweite und dann erste Ebene von Gefühlen gibt, die im vermutlichen Verlauf der Therapie zugänglich werden und die oft auch im Verlauf eines spezifischen Primals durchlaufen wird.

Nun muss das in Wirlichkeit aber nicht immer genau so der Fall sein, da jeder Mensch verschieden ist. Welche Gefühle am leichtesten zugänglich sind, wird von Fall zu Fall variieren. Das hängt hauptsächlich damit zusammen, wo sich der meiste Schmerz befindet und ebenso von der jeweiligen Art und Stärke der Abwehr, die ja den Zweck, hat zu verhindern, dass das entsprechende Gefühl bewusst wird. Beispielsweise wird jemand mit sehr viel Schmerz in der dritten Ebene vermutlich die davor liegenden Gefühle als leichter zugänglich erleben und gleichzeitig eine natürliche körperlicher Abneigung oder Unfähigkeit zeigen, in diejenigen Bereiche zu gehen, wo die größeren energetischen Blockaden sitzen. Der Körper weiß in Folge seiner angeborenen Weisheit genau, wohin er gehen muss. Er kennt, mit anderen Worten, den besten Gefühlston unter den jeweils gegebenen Umständen.

Ein Klient legt sich auf den Boden und fängt an, mit seinen Gefühlen zu arbeiten. Er macht schon einige Zeit Therapie und weiß also normalerweise recht genau, was seine Gefühle und Tränen zum fließen bringt. Das Gefühl, das er dabei empfindet, ist zugleich Ausdruck des Umfangs, in dem er seinem Körper erlaubt, Zugang zu diesen Gefühlen zu bekommen. Darüber hinaus an Gefühle heran zu kommen, daran hindert den Körper hauptsächlich das System der Abwehr. Diese Abwehr hält ihn getrennt von seiner eigenen Biologie, von der Realität seiner Existenz. Diese Abwehr ist es, die den Geist umherstreifen lässt und getrennt von gegenwärtigen Moment hält - mit dem hauptsächlichen Ziel, Gefühle unter Kontrolle zu halten.

Nun sollte aber das System der Abwehr in keinster Weise durchbrochen werden. Druck machen bzw. puschen in der Therapie führt letztendlich in eine Sackgasse oder zu einem Überflutet-Werden von Gefühlen, die dann nicht angemessen integriert werden können. Worum es vielmehr geht ist, es dem Abwehrsystem zu erlauben, an Bedeutung zu verlieren, damit unbewusstes Material gefühlt und angenommen werden kann.

Das Gegenmittel gegen rastlos wandernden Geist, Sich-Wie-Tot-Fühlen und der Unzugänglichkeit der Abwehr ist eine Technik der Gestalt-Therapie: im jetzt aktuellen Moment zu bleiben. Und alles, womit das in der Gegenwart-Bleiben unterstützten werden soll, muss so einfach wie möglich sein: Die Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten, ist ziemlich einfach und hat doch wunderbare Wirkung. Beispielsweise legt man sich dazu einfach an einem bequemen Platz hin.. Ein Primärzentrum ist wegen der gegebenenfalls verfügbaren Unterstützung von Vorteil und weil es da eher möglich ist, laut zu sein.

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Sei Dein Atmen. Achte darauf, wie die Luft durch die Nase oder den [im Kiefer locker geöffneten] Mund aus- und einströmt. Möglich, dass Dein Geist wandert. Das darf sein. Wenn dem so ist, richte sanft die Aufmerksamkeit wieder auf den Atem. Vielleicht kommt der Gedanke, das sei ein nutzloses Bemühen - aber dieser Gedanke ist selbst eine Abwehr und Ablenkung. Das Ziel ist, den Geist von seinem üblichen Rattern und den gewohnten Gedanken zu befreien und statt dessen dem Körper nach und nach eine Freiheit zu zu gestehen, die er im Alltag sonst nicht bekommt und gleichzeitig mit dem Ego eine nur minimale Kontrolle aus zu üben.

Wenn der Fokus auf das Atmen gerichtet bleibt, vertieft es sich bald ganz von selbst. Wenn das passiert, bleibe weiter bei Deinem Atmen. Lass' Dich von dem Feuerwerk im Kopf, das Du dabei erleben magst, nicht blenden.

Der Eindruck mag entstehen, als wärst Du in einem Zug, der rückwärts durch die Landschaft Deiner Psyche fährt. Vielleicht kommst Du an Stationen vorbei, wo Du Dir sagst "Ah, da ist wieder dieser Kummer, der mich so oft beschäftigt". Atme weiter. Der Zug wird weiterfahren. An der nächsten Station mag vielleicht ein Dir seit der Kindheit vertrautes Verhalten auftauchen, das Du einstmals gezwungen warst, anzunehmen um Dich bedrückende Gedanken [/Gefühle] zu vermeiden. Widerstehe der Versuchung, Dich damit auseinander zu setzten und mach' einfach weiter. Konzentriere Dich auf die Luft, wie sie ein- und ausströmt. Es kann gut sein, dass Dir ein ganzes Kaleidoskop von Erinnerungen und Bildern kommt, aus scheinbar ganz beliebigen und untereinander unverbundenen Lebensabschnitten. Aber mach' weiter mit dieser vielleicht "langweilig" erscheinenden Übung, das ist nur Deine Bewertung. Hinter diesem Gelangweilt-Sein kann durchaus wertvolles Material stecken, das versucht, Zugang zum Bewusstsein zu finden. Für das Höhere Selbst ist das Atmen ganz und gar nicht langweilig, es ist wunderbar und heilig. Wo kommt doch gleich das Wort Inspiration her ? Von "inspirare" - einatmen.

Irgend wann bei dieser Übung, wenn Du weit genug damit gekommen bist, kann es sein, dass Dein Körper anfängt die Bewegungen zu machen, die er machen will. Zensiere das nicht, lass' es zu. Unter Umständen kommst Du in einen "Anderen Zustand", ein deutliches Gefühl von fast grenzenloser Energie nimmt von Dir Besitz, das "Erweiterte Da-Sein". Jetzt fängt Dein Körper an die Wahrheit aus zu drücken, die er Dein ganzes Leben lang unterdrücken musste. Bedenke, wie er versucht hat, gehört zu werden, wie er versucht hat, seine Gefühlswahrheit von Beginn an aus sich raus zu schreien. Endlich hast Du begonnen, ihm Stück für Stück seine Stimme [zurück] zu geben.

Auch wenn es vielleicht den Anschein hat, das ist nicht Rebirthing, weil dabei nicht über absichtlich vertieftes Atmen Druck gemacht wird. Du bleibst einfach bei und konzentrierst Dich auf Dein Atmen und erlaubst Deinem Körper, sich selbst aus zu drücken. Vielleicht kommst Du in eine fötale Körperhaltung oder führst rhythmische Bewegungen aus. Bewerte nicht, was passiert. Dein Köper weiß, was er tun will. Dein ganzes Leben hat er laut danach gerufen, sowohl seine ganze Lebensfülle als auch seinen Kummer und seine Angst, die zu unterdrücken er gezwungen wurde, zu aus zu drücken. Indem Du bei Deinem Atmen bleibst beginnt ein Prozess, der den Geist von seiner Kontrolle über den Körper ablöst. Bedenke, dass Dein Körper alle Antworten in sich trägt und danach geschrieen hat, gehört zu werden. Du hast gerade damit begonnen, ihn zu hören.

Sehr frühe Gefühle können auftauchen. Du magst versucht sein, "in" sie zu gehen aber manchmal sind sie Ablenkungen auf dem Weg zu noch wichtigeren Gefühlen. Achte weiter auf Deinen Atem. Du wirst Deine Gedanken in einer fühlenden Art erfassen. Vielleicht stößt Du auch laute Schreie aus und gibst andere Geräusche von Dir, die sich anhören, als würde jemand gefoltert. Aber genau diese Schreie bringen Dir ein Aufscheinen von Licht und von Energie und zumindest dann wirst Du Dich erinnern, wie es war, als Du ein Kind warst.

Gib Dir am Anfang mindestens zwei, noch besser drei Stunden für diesen Prozess. Und iss nichts bevor Du Dich auf diese Erfahrung einlässt. Deine ersten Versuche bringen vielleicht nicht viel. Dein Geist schweift vielleicht weiter rastlos umher. Du schläfst vielleicht immer wieder ein, dabei. Mach' Dir keine Sorgen - Du hast angefangen.


Weitere Empfehlungen

  • Bei Deinen alltäglichen Verrichtungen richte Deine Aufmerksamkeit immer auf das, was Du gerade tust, sei es nun Zeitung lesen, gehen, essen etc. Mit anderen Worten, lebe den Augenblick bewusst.

  • Sei Dir bewusst, dass intellektuelle Vorstellungen nur ein Oberflächenphänomen von unbewusstem und unterdrücktem Material darstellen. Grundlegende Überzeugungen sind Energiewirbel von großer Kraft. Diese Kraft ist die Kraft des Selbst, die Kraft der vergessenen Gottgleichheit. Kindheit, Säuglingsalter und sogar die Geburt geschehen ganz konkret jetzt - weil die Vergangenheit ebenso wie die Zukunft dem Jetzt entströmen. Indem wir die Wahrnehmung erweitern, erfahren wir Energieformen, die immer weniger in zeitlichem Bezug stehen. [...]

  • Fasten kann sehr zuträglich sein beim Zulassen von frühen Traumata. Faste mindestens einen Tag in der Woche und in einer Woche des Monats faste drei Tage. Wähle dafür die Woche, in die der Tag Deiner Geburt fällt.

  • Umarme mit Deinem Gefühl auch noch die am meisten "negativen" Empfindungen. Sie sind Boten welche die, obgleich blockierte, Energie zu grenzenlosem Erfahrungs-Lernen und geweiteter Wahrnehmung mit sich führen.
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    [ kleinere Kürzungen / Ergänzungen des Übersetzers ]

    Übersetsung Reinhold W. Rausch



EMaK www.emak.org ist eine Webseite für Erwachsene Misshandelt als Kinder. Über die Erfahrungen einer misshandelten Kindheit zu sprechen ist oftmals der erste Schritt auf einem langen Weg die unsichtbaren Wunden zu heilen.

-- Sieglinde W. Alexander



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