„Widerstand“ Eine Antwort auf Dr. Paul Hanning’s Artikel
„Is There a Hole in Your Soul


von Patricia Poulain, Cand. Ph.D.


In der Ausgabe vom März 2004 des IPA- Newsletters veröffentlichte Dr. Paul Hanning einen Aufsatz über die Notwendigkeit, emotionalen Schmerz zu verarbeiten von als Voraussetzung für ein gesundes Limbisches System und für ein genussreiches Leben. Ich beziehe mich im Folgenden auf einen bestimmten Absatz in diesem Artikel, und zwar zuerst aus der Perspektive einer Person, die erst wenig Primal- Erfahrung besitzt und dann aus der Sicht einer praktizierenden Teilnehmerin eines Primal- Trainings.

Vorwegschicken möchte ich, dass ich mich nur auf den von mir als problematisch empfundenen Teil seines Aufsatzes beziehe und dass ich diesen Teil zum Anlass nehme, meine eigenen Gedanken und Erfahrungen zum Thema Widerstand zu entwickeln und mitzuteilen.

Damit möchte ich nicht an meiner Wertschätzung für andere Teile von Paus Beitag rühren, die ich sehr informativ und gut formuliert empfunden hatte. Ich ergreife dankbar die Gelegenheit, mich über ein Thema zu verbreiten, das sehr wichtig für mich ist und an dem mir persönlich viel liegt.

Paul schreibt: „Wer sich weigert, wer sich dagegen wehrt, wer nicht mit voller Absicht sich hinlegen kann, um durch schreien, weinen und reden, durch Laute von sich geben, durch kreischen, herumwirbeln und durch um sich schlagen mit aller Kraft den in ihm angestauten Schmerz auszudrücken, rauszulassen, auszutreiben und in die Luft zu jagen – ist unwillig mit den Bedürfnissen des Gehirns und des Körpers in Kontakt zu treten und die gespeicherten Giftstoffe und die negativen Gedanken und Gefühle aus seinem System heraus zu eliminieren. Was nichts anderes heißt, als kein echtes Interesse daran zu haben und sich nicht ganz dem Ziel zu verschreiben, wieder voll auf die Beine zu kommen und alles über Bord zu werfen, was ihn klein und unten hält. Wer im Widerstand ist verweigert, fehlgeleitete und abnormale neurologische Reizweiterleitung zu korrigieren. Er /sie verweigert sich einem gesunden, unbegrenzten, stabilen und entfalteten Liebesleben.“

Als jemand, der gerade erst angefangen hat zu primeln hatte ich, als ich das las, gar kein gutes Gefühl. Ich fühlte mich abgekanzelt und beschuldigt. Meine Reaktion drauf war dann, für mich zu sorgen und ich fühlte, dass ich dem widersprechen und darauf antworten will. Ich ging diesem Gefühl dann weiter nach und kam an ein paar recht frühe Erlebnisse, wo ich dafür beschämt wurde, nicht das zu tun, was andere von mir erwarteten, als falsche und missverstehende Zuschreibungen über mich gemacht wurden wo ich gesagt bekommen hatte, wie ich mich fühlte obwohl ich mich doch ganz anders fühlte. Und wo ich schließlich gedrängt worden war zu Sachen, die mir Angst machten, ohne Rücksicht auf meinen eigenen Rhythmus und auf meine innere Entwicklung.

Diese Erfahrungen hatten zur Folge, dass ich lernte, die Signale meines Köpers angesichts unsicherer Situationen und Menschen zu ignorieren. So dass ich mich auf Situationen einließ, für die ich noch nicht reif war und die ich nicht bewältigen konnte und wo ich mir angesichts von Missbrauch und Gewalt Schweigen verordnete. Angst, Schmerz und Widerstand zu ignorieren, wurde zur Norm. Was ich dann alles beim Primeln ganz genauso machte.

Oft trieb mich dabei ein rücksichtsloser und sehr kritischer innerer Coach dazu an, zu oft und zu schnell in zu frühen Schmerz zu gehen. Ich wollte mich mit aller Gewalt hinbiegen, mich anders machen, all den Schmerz los werden – ohne zu merken, dass ich tatsächlich einem unguten Muster gehorchte. Und so kam ich dann auch in Schockzustände, die meine physischen Ressourcen völlig erschöpften. Erst jetzt weiß ich: Primal ist nicht in jedem Fall und immer der richtige Weg. Ehrliche Anerkennung von guten Ratgebern, Freunden und Kollegen hilft mir inzwischen aber, meine Abwehr und meine Widerstände hoch zu halten und zu achten.

Ich spreche im Folgenden aus der Perspektive der in Ausbildung befindlichen Praktikerin ( Primal Prozessbegleiterin und Psychologie- Doktorandin ) und möchte das Konzept „Widerstand“ näher erörtern.

Mein Standpunkt ist vor allem geprägt von persönlichem Erleben, von Überlegung, von Austausch mit Freunden, Kollegen und Supervisoren und von Lesefrüchten aus verschiedenen therapeutischen Ansätzen. Ich möchte ferner vorausschicken, dass ein Großteil meiner Erfahrung aus einer etwa achtmonatigen prozessbegleitenden Kurzzeit-Beratung stammen, die lange nicht die Tiefe des Primärprozesses erreicht.

Noch habe ich einiges zu lernen vor mir, was den Prozess des Tiefen Fühlens angeht und über die Widerstände gegenüber dieser Art Arbeit. Und doch meine ich über das, was ich in den letzten Jahren aus eigener Erfahrung und in der Praxis gelernt habe, etwas sagen zu können.

Im therapeutischen Umfeld hat das Wort „Widerstand“ allgemein einen negativen Beigeschmack. Üblich ist, darin etwas zu sehen, was im Weg steht und was überwunden werden muss. Das allein schon bezweifle ich. Was mir aber noch viel mehr Unmut verursacht ist, wenn „Wiederstand“ als Urteil über eine Person gebraucht wird. Dann wird der „widerständige“ Klient vielleicht auch der „schwierige“ Klient genannt, und „Widerstand“ muss als eine Rechtfertigung herhalten für missbräuchliches und schädigendes therapeutisches Handeln, etwa in der Form von Konfrontationen, Beschuldigungen und Einschränkungen, die nicht wirkliche von Sorge um das Wohl des Klienten getragen sind, sondern vielmehr von einem Willen, Macht in der therapeutischen Beziehung zu etablieren oder eine Expertenposition zu untermauern.

Mein Vorschlag dagegen wäre es, dass „Widerstand“, oder dass die Bezeichnung „widerständiger Klient“ vielleicht hauptsächlich mit den persönlichen Themen des therapeutischen Begleiters und mit seinem Interventionsstil zu tun haben. Es gibt da nämlich eine beitragen können.

Als erstes möchte ich nennen die Erfahrung mit und das Einfühlungsvermögen für die speziellen Themen und Gefühle, wie sie in der Arbeit mit einem bestimmten Klienten hochkommen. Tatsächlich können nämlich die Menschen sehr genau spüren, ob oder ob nicht ihr Begleiter auf bestimmte Aspekte ihres Prozesses eingehen und sie gut da hindurch begleiten kann. Ganz besonders trifft das auf Menschen zu, die Folter, Vergewaltigung und psychiatrischen Missbrauch erlebt haben.

Weiter wird Widerstand durch Bruchstellen in der therapeutischen Beziehung ausgelöst, die das für ein eng verbundenes Arbeiten erforderliche Vertrauen untergraben. In ähnlicher Weise wirkt sich mangelnde Übereinstimmung zwischen dem Arbeitstil des Helfers und dem Kommunikationsstil des Klienten aus.

Auf diese Faktoren muss Rücksicht genommen werden und oft können sie durchaus erfolgreich bearbeitet werden, wobei es oft genüg , dass derartige Begrenzungen einfach nur wahrgenommen und eingestanden werden.

Weiter ist zu sagen, dass oft, wenn Widerstand in einer Supervision offen angesprochen wird, dabei herauskommt, dass dieser vom Willen der Begleitperson herkommt, die ihre eigene Agenda, ihr eigenes Tempo und ihre eigenen Erklärungen dem Prozess der Klientin dabei sind, überzustülpen. In diesem Zusammenhang ist Widerstand dann ein Zeichen von Gesundheit, indem die Betroffene genug eigne Ressourcen an den Tagt legt, sich dagegen zu wehren. Ja, die Abwesenheit von Widerstand gibt Anlass zur Sorge, könnte sie doch zeigen, dass die Person sich aus dem Prozess überhaupt zurückgezogen hat, und vielleicht nur noch angepasst reagiert, aus dem Wunsch heraus, zu gefallen, aus Furcht oder einfach aus Ratlosigkeit.

Nun aber im Folgenden spezieller zum Thema Widerstand als Unfähigkeit oder als Weigerung, sich auf tiefere Regressionsarbeit einzulassen. Das folgende Bild enthält, was ich dazu denke: In der Physik bezeichnen Widerstände Einrichtungen, um Stromkreise vor Überlastung zu schützen. Ohne diese drohen Schäden oder gar die endgültige Zerstörung. Um einen Stromkreis nun zwischen immer höhere Spannungen zu schalten, kann es erforderlich sein, erst einmal schwächere Elemente zu verstärken oder auszutauschen, dickere Kabel zu legen und die Isolierung zu verbessern. Und falls man es mit einem sowieso schon überlasteten Stromkreis zu tun hat, so kann es auch erforderlich sein, Spannung weg zu nehmen und / oder zusätzliche Widerstände ein zu bauen, damit das System nicht zusammenbricht.

Ganz ähnlich kann es, um wieder zur Primärarbeit zurückzukehren, gute Gründe für Widerstand geben und es Schaden anrichten, in einer bestimmten Situation und unter bestimmten Umständen zu primeln. Es könnte passieren, dass „Brechen“ von Widerständen dann destabilisierend und retraumatisierend wirkt ( vergl.: Burstow, 1992; 2004 ).

Bevor man auf Widerstand los geht, sollte man dessen Sinn verstehen. Wofür es einige Möglichkeiten gibt. Ich bevorzuge den Dialog zwischen den verschiedenen Selbst- Anteilen. Sich dabei auf den Teil einzulassen, der prompt auf die Matte und drauf los hauen will, könnte ergeben, dass es sich um genau den Teil in einem handelt, der einen sonst auch antreibt, Schmerz zu ignorieren und dass es derjenige ist, der gewöhnlich auf dem Selbst herumhackt. Sich auf den ängstlichen und schutzsuchenden Teil einzulassen, kann im Gegensatz dazu helfen zu klären, worauf, im Blick auf einen integrativ wirksamen Prozess, geachtet werden muss. Was durchaus dazu führen kann, dass mehr Sicherheit und mehr Unterstützung benötigt wird. ( Was das im Einzelfall konkret bedeutet, kann jeweils sehr verschieden sein. Etwa kann auch der Wunsch nach zwei Sittern auftauchen, damit der eine nach der Sitzung ein paar Stunden ausruhen und sich erholen kann. Oder andererseits könnte es darum gehen, den Prozess weitestmöglich zu entschärfen, indem nur jeweils ein kurzes, vielleicht drei bis fünf Minuten langes Eintauchen in die Regression verabredet wird, um dazwischen dann über leichtere Themen zu sprechen. )

Sowie auf die berechtigten Ansprüche derjenigen Selbst- Anteile, die mit den Schutzaspekt von Widerstand in Zusammenhang stehen, sorgfältig Bezug genommen wird, löst sich vermutlich viel dieses Widerstandes von allein auf und ermöglicht einen wirklich integrativen Prozess. Ebenso kann bei diesem Kontakt mit den furchtsamen Selbst- Anteilen auch herauskommen, dass zu primeln zum gegebenen Zeitpunkt gar nicht dran ist. Vielleicht ist im Augenblick viel wichtiger, sich den Herausforderungen des Alltags zu widmen, oder Bodenhaftung zu verbessern. ( Mehr dazu in Terry Larimore’s Veröffentlichungen zum Thema Schock und in Sam Turton’s thought of the week „On the Edge of the Rabbit Hole.)

Ich selbst habe erfahren, dass ich bei meiner inneren Arbeit mit höchst bedeutsamen Inhalten erst dann in Verbindung treten konnte, nachdem es mir gelang, meinen Widerstand zu umgehen. Ich bin mir bewusst, dass zu Zeiten Widerstände und Abwehr aufgeweicht, aufgegeben oder zeitweise beiseite gelegt werden müssen. Doch zugleich bin ich mir auch sicher, dass Primärprozesse einer inneren Weisheit folgen, und dass diese Weisheit auch in Widerständen zum Ausdruck kommt. Diesen Widerständen gerecht zu werden und die Erfahrung zu machen, dass diesen Widerständen vom Prozessbegleiter Sorge getragen wird, kann zutiefst wohltuend und heilsam wirken.

Übersetzung: Reinhold W. Rausch


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