Leben und Geburt
Pränatalzeit - Geburt - Kaiserschnitt - Frühe
Kindheit
Regressionstherapeutische Dokumente
Herausgegeben
von Frau Irene Behrmann und Marianne Sturm
Mattes
Verlag Heidelberg, 2008
„Nirgendwo prallen tief
verwurzelte Lebensprinzipien und von wissenschaftlichem Denken geprägte
Überzeugungen krasser aufeinander als bei der gegenwärtigen klinischen
Geburtspraxis.“ (S. 200)
„Unsere Dokumentation
verstehen wir als Protokolle der Hoffnung, aus denen sowohl auf der
individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene gelernt werden kann.
Lernen in diesem Sinn würde bedeuten, aus den biographischen Erfahrungen
Einzelner Konsequenzen zu ziehen.“ (S. 219)
Das von Irene Behrmann und Marianne Sturm
herausgegeben Buch Leben und Geburt
basiert auf den Erfahrungen mit der Ambulanten Regressionstherapie.
Dabei handelt es sich um einen regressionstherapeutischen Ansatz in der von Dr.
A. Janov und anderen beschriebenen Tradition, wie er aber von Frau Behrmann
weitgehend unabhängig entwickelt und in ihrem 2002 erschienenen Buch „Zurück
ins Leben: Erfahrungen mit der Ambulanten Regressionstherapie“ erstmals
ausführlich beschrieben wurde.
Inzwischen hat sich um Frau Behrmann ein Kreis von
ebenfalls mit dieser Methode arbeitenden erfahrenen Psychotherapeutinnen
gebildet, deren Erfahrungsberichte und Therapieprotokolle in das neue Buch mit
aufgenommen wurden. Damit zeigt sich die Akzeptanz und wirkungsvolle Anwendung
regressionstherapeutischer Arbeit auch im Kontext der unterschiedlicher
therapeutischer Richtungen, von denen herkommend die Co-Autorinnen von ihren
Erfahrungen mit der Ambulanten Regressionstherapie berichten.
Die von Frau Behrmann beschriebene therapeutische
„Liegearbeit“ beruht auf der allen Spielarten der Regressions- bzw.
Primärtherapie gemeinsamen Annahme einer neuronalen und körperlichen Prägung
individueller Erlebnis- und Identitätsmuster in pränatalen und frühen sozialen
Bindungserfahrungen.
Entsprechend geht ihr methodischer Ansatz, wo immer
möglich, von Körperempfindungen im Hier und Jetzt aus. In sogenannter
Einzelwortarbeit, d. h. der fokussierenden Wiederholung charakteristischer
Begriffe zur Bezeichnung aktuell gefühlter Emotionen oder gespürter
Körpersymptome werden traumatisch prägende Erfahrungen der bewussten
Verarbeitung im Rahmen einer geschützten und fest begründeten therapeutischen
Beziehung zugänglich gemacht.
Die Erfahrungsberichte aus der Feder von zusammen
sieben mit dieser Methode arbeitenden Therapeutinnen bzw. von deren Klienten
zeigen eindrucksvoll die biographische Inspiration und die symptombezogene
Wirksamkeit der regressions-psychotherapeutischen Arbeitsweise an zahlreichen
Beispielen.
Über Frau Behrmanns Buch von 2004 hinausgehend geht
es den Herausgeberinnen jetzt aber nicht nur um einzelne Erfahrungsberichte.
Diese werden nämlich zugleich als wertvolles Instrument der erfahrungsbasierten
Erkenntnis über elementare Aspekte des menschlichen Werdens und Reifens
verstanden. Anschaulich greifbar wird auf diese Weise, wie intensiv schon vor,
während und nach der Geburt eine prägende Empfindungsfähigkeit vorhanden ist.
Und wie traumatisch zugleich Erfahrungen wie etwa Ängste und Ablehnung, die
sich unmittelbar von der Mutter auf das lebendige Wesen in ihr übertragen, und
Trennung hier schon sein können. Entsprechend sind die wiedergegeben
Therapieprotokolle und Erfahrungsberichte gegliedert in Pränatalzeit, Geburt,
Kaiserschnitt und frühe Kindheit.
Ganz natürlich ergibt sich daraus zugleich aber auch
der Wunsch und die Notwendigkeit, dieses Wissen in Zeiten technomedizinischer
Definitionsherrschaft in den Kontext von gesellschaftlicher Praxis rund um
Schwangerschaft, Geburtshilfe und Säuglingsversorgung zu stellen. Worum es den
Autorinnen geht ist nicht zuletzt, die psychotherapeutische Regressionsarbeit
als Methode zu begreifen, um Störfaktoren der prä- und perinatalen
Bindungserfahrung zu identifizieren und greifbar zu machen - für einen künftig
bewussteren und besseren gesellschaftlichen Umgang mit Mutterschaft und
Geburtshilfe.
So enthält das Buch einen Abschnitt
„Wissenschaftliche Aspekte – gesellschaftliche Auswirkungen“, zu dem noch immer
vielfach tatsächlich katastrophalen Missverhältnis zwischen einerseits der
neuronalen Prägekraft dieser Lebensphase und andererseits dem mangelhaften
gesellschaftlichem Wissen und der fehlenden Sorgfalt, mit der hierzulande den
Bindungs-, Schutz- und Kontinuitäts- Bedürfnissen des werdenden Lebens
entsprochen wird.
Dieser Abschnitt ist angereichert mit zahlreichen und wertvollen weiterführenden Literaturangaben und Links, statistischem Material aus wissenschaftlichen Untersuchungen und aus Umfragen bezüglich Kaiserschnittfallzahlen, Komplikationen und Risiken der derzeitigen im Vergleich zur historischer Geburtskultur. Ebenso kommen Aspekte der Information und Betreuung werdender Mütter in der Form hierzu erfolgter Studien zur Sprache. Hier zeigt das Buch Ansatzpunkte für eine dringend geforderte Einbeziehung und Rückerinnerung an ehemals intuitiv vorhandenes erfahrungsbasiertes Wissen um die Empfindsamkeit, Verletzlichkeit und Bedürftigkeit der werdenden und Leben schenkenden Menschheit.
Ein Buch, das berührt und das besonders all denen,
die auch nur einmal ihre eigene perinatale Verletztheit fühlend wiedererlebt
haben, aus dem Herzen spricht. Und das aber zugleich auch zu Herzen all
derjenigen geschrieben wurde, die in der einen oder anderen Form
Mitverantwortung tragen für diese so entscheidend prägende Lebensphase.
Reinhold W. Rausch