Von Harley Ristad
In diesem Artikel werde ich
den Unterschied zwischen natürlicher und direktiver Primärtherapie erklären und
erläutern, warum ich natürliche Primärtherapie bevorzuge.
Nachfolgend meine Definitionen der zwei
Therapien:
NATÜRLICHE PRIMÄRTHERAPIE – Der Therapeut
entdeckt oder fühlt zuerst, was der Patient fühlt und hilft dann dem Patienten,
tiefer in dieses Gefühl zu gehen. Der Therapeut muss nicht unbedingt etwas
sagen oder machen; er (sie) könnte einfach für den Patienten da sein. Wenn der
Patient kein Feeling hat, hilft man ihm, tiefer in „Kein-Gefühl-haben“
hineinzugehen. Es gibt keine Hierarchie der Gefühle; alle haben den gleichen
Wert. „Ein Gefühl ist ein Gefühl ist ein Gefühl.“ Den Schmerz einer Scheidung
zu fühlen ist so wichtig, wie den Schmerz zu fühlen, dass du die Liebe deiner
Mutter nicht hast. Der Therapeut lenkt den Patienten nicht zu früheren Gefühlen
hin. Wenn der Patient von sich aus zu früheren Gefühlen geht, dann hilft der
Therapeut dem Patienten, sie mit größerer Intensität zu fühlen.
DIREKTIVE
PRIMÄRTHERAPIE - Der Therapeut benutzt Techniken, um die
Abwehr des Patienten zu zerbrechen. Der Therapeut hilft dem Patienten, in
Gefühle zu gelangen, und führt dann den Patienten speziell zu diesen früheren
Gefühlen, die der Therapeut als wichtiger erachtet.
Ich mache jetzt natürliche Primärtherapie in
Denver. Am Anfang ging ich davon aus, dass die Therapie für mich nicht
funktionieren könnte. Von Janov wurde ich grundlos abgelehnt. Ich war jedoch
neunundvierzig Jahre alt, und Janov nimmt niemanden über fünfzig. Ich war sehr
kopflastig und Janov sagt: „Leute, die sich in ihren Kopf zurückgezogen haben,
sind am schwierigsten zu behandeln.“ Jetzt, in meinem elften Therapiemonat, hat
mein Fortschritt meine Erwartungen weit übertroffen.
Ich habe das Gefühl, dass ich von meinem
Therapeuten während meines Drei-Wochen-Intensivs sehr gute Therapie bekommen
habe. Er hat so wenig getan, und doch hat er so viel getan. Es schien, dass ich
meinen eigenen Weg gefunden habe und meine eigene Therapie gemacht habe. Ich
habe nicht registriert, auf welche Weise er mich in der Spur gehalten hat. Ich
glaube, meine Therapie wäre schlecht gelaufen, wenn mein Therapeut darauf aus
gewesen wäre, mich zu lenken und zu kontrollieren. Wenn ich in Gefühlen war,
ließ er mich dort. Weil sich bei Primärtherapie so viel um die eigene Mutter
dreht, habe ich mich in diesen drei Wochen oft gefragt, warum ich keine Gefühle
über meine Mutter hatte. Erst in der letzten Sitzung meines Intensivs kreischte
ich: „Ich kann Mutter nicht finden, weil ich sie nie hatte.“
In meinen elf Therapiemonaten hat es keinen
Versuch gegeben, mich zu „sprengen“ oder meine Abwehr einzureißen. Das Center
glaubt nicht, dass man das auf sinnvolle Art machen kann, weil der Patient dann
blockiert oder überlastet wird oder eine neue Abwehr aufbaut. (Das Abwehrsystem
ist ein Symptom; vergrabener Schmerz die Ursache.) Jede Stunde, die ich in
Gefühlen war, öffnete mich in kleinem Umfang, was mich wiederum veranlasste,
mehr zu fühlen, und das öffnete mich wieder etwas mehr, etc. Auf diese Weise
kehrte sich das Sich-Verschließen in meiner Kindheit langsam und natürlich um.
Während meines vierten Therapiemonats
passierte ein Fehler, durch den ich gewissermaßen direktiver Therapie
ausgesetzt war, die einigen Schmerz außerhalb seiner natürlichen Reihenfolge
hochbrachte. Ich war ein williger und kooperativer Teilnehmer, der glaubte,
dass gute Therapie gemacht worden ist. Zwei Monate später wurde mir plötzlich
klar, warum meine Therapie stagniert hatte. Ich glaube, dieser Fehler warf
meine Therapie um mehr als einen Monat zurück. Aufgrund dieses Fehlers lernte
ich, wie gut natürliche Primärtherapie bis jetzt für mich war.
Es geschah an einem Freitag: Ich war seit sechs
Stunden tief in meinen Gefühlen und kam inmitten der Nachgruppe aus einem
Zwei-Stunden-Primal heraus. (Während der Gruppe sind Patienten in getrennten
Räumen und treffen sich in einem Großraum zur Nachgruppe.) Dann geschah
es, dass ein anderer Patient eine Menge Zorn auf mich ablud. Ich war ziemlich
beisammen, empfand seine Angriffe als Unsinn und entschied mich, seine Hetzrede
nicht mit einer defensiven Antwort zu würdigen. Stattdessen versuchte ich, der
Gruppe mitzuteilen, dass ich gerade ein Primal darüber hatte, dass ich die die
ganze Nacht in einer Klinik allein gelassen worden war, als ich ungefähr ein
Jahr alt war, wie eine Scheibe Fleisch mit beiderseits festgeschnallten Armen
und mit Insekten, die mein Gesicht zerstachen. Als ich das größte Bedürfnis
nach Unterstützung für meine Gefühle hatte, gesellten sich die Therapeuten zu
der Gruppe mit ihrem Bedürfnis, Gladiatoren in Aktion zu sehen. Sie zwangen
mich zu einer anderen Reaktion, und ich antwortete mit Zorn.
In meiner nächsten Sitzung Montags darauf
wollte meine Therapeutin über das Zorn-Abwälzen vom Freitag reden. Er sagte
mir, dass ich als Erwachsener sehen kann, dass der Zorn verrückt ist, aber als
ich ein kleiner Junge war, konnte ich das nicht. In der Nachgruppe wälzte
derselbe Patient wieder seinen Zorn auf mich ab. Dieses Mal folgte ich dem
Vorschlag meiner Therapeutin und ging mit dem Gefühl mit, dass ich klein und
unfähig war, die Verrücktheit zu verstehen. Ich ging zu Boden, und ich ging
wirklich tief. Meine Therapeutin intensivierte den Schmerz sehr, als sie ihre
Hand auf meine Schulter legte.
Es war so unnötig, dass ich dorthin gedrängt
wurde, wohin zu gehen ich nicht bereit war. Die Zorn-Abwälzungen waren in
meiner Erinnerung eingeschlossen. Wenn mein Körper in einer späteren Sitzung
bereit gewesen wäre, hätte ich in Gefühle über diese Zorn-Abwälzungen gehen
können. Natürliche Primärtherapie geht von der Annahme aus, dass es für den
Patienten eine natürliche Sequenz gibt, seinen vergrabenen Schmerz zu fühlen,
die für jeden Patienten einzigartig ist und die der Therapeut nie kennen kann.
Unten folgt ein Zitat von Seite 28 seines
Buchs In The Middle of Things, wo Michael Rubin seine erste Sitzung in
der Primärtherapie beschreibt. Ich sehe das als direktive Primärtherapie in
ihrer krassesten Form:
„In dem halbdunklen Sprechzimmer sagt sie
mir, ich solle mich auf eine schwarze Ledermatte legen, in der Nähe eine Box
mit Taschentüchern. Sie bittet mich, tief zu atmen – Arme ausgebreitet, Beine
ausgebreitet, was mich schrecklich verwundbar macht. Immer pflichtbewusst
handle ich wie angewiesen und fühle, dass mir allmählich schwindelig wird von
so viel tiefem Atmen.
Spürt sie es? Sie sagt: ‚Sag Mama’
Wie eine Babypuppe sage ich ‚Mama’
Sie sagt ‚Noch einmal’
‚Mama’ sage ich. Dann noch einmal. Und
noch einmal.
Ich weiß nicht, wie oder warum, aber
schließlich sage ich es um dessentwillen und auf ihren Vorschlag lauter und
lauter: ‚Mama’. Mama, Mama!’
Und ehe ich weiß, wie mir geschieht, finde
ich mich weinend wieder und dann laut schreiend, nach ihr rufend: ‚Mama,
Mama, Mama!’
Sie sagt mir, ich solle auf die Matte
einschlagen.
Ich schreie lauter. Ich schlage, schlage,
schlage.“
Die Therapie hier ähnelt der, wie sie viele
machen, die Primärtherapie machen, nachdem sie Janovs Urschrei gelesen
haben. Auf Seite 107 sagt Janov: „.....enthält dieses Buch praktisch keine
Einzelheiten unserer Techniken.“ Ich weiß nicht, welche Art von Therapie Janov
jetzt betreibt, aber es gibt Hinweise in dem Buch, dass Janov direktive
Primärtherapie gemacht hat, als er es schrieb (vor 1970). Auf Seite 96 sagt
Janov: „Am Ende der dritten Woche ist die Hauptarbeit des Abwehrsystem-Abbaus
getan.“ Auf Seite 81 ist ein Beispiel für das Erteilen von Anweisungen: „Er
wird angewiesen, mit ausgestreckten Gliedern dazuliegen.“ Ein anderes Beispiel
auf Seite 123: „Die Atmung ist eines von vielen Mitteln, die wir benutzen.“ Ein
anderes auf Seite 126: „Wenn der Primärtherapeut den Schnellsprecher
verlangsamt und ihn mit seiner Sprechart ‚schmerzempfänglich’ macht, engt er einen
Abwehrmechanismus ein.“ Und auf Seite 250: „Art Janov teilte mir mit, dass ich
keine Therapie mehr bekäme, sollte ich noch einmal zu spät kommen.“ Auf Seite
262: „Wir zwingen den Patienten, direkt zu sein. Anstatt ihm zu erlauben,
unterwürfig oder intellektuell zu sein, sagen wir ihm, er solle auf den Boden
fallen und direkt zu seinen Eltern ‚Liebe mich, liebe mich’ rufen.“ Auf Seite 296: „Ich gestattete ihr nicht,
die süße Person zu sein, die sie immer gewesen war.“ Und auf Seite 357: „Ich
hielt einen Marine-Kapitän davon ab, während der Behandlung zu fluchen.“ Ein
Beispiel, wo Janov für den Patienten dessen Wahrheit herausfindet, steht auf
Seite 48: „Schon bald in seiner Behandlung nenne ich ihn eine Schwuchtel. Jetzt
ist er ängstlich. Ich bin ihm auf die Schliche gekommen – das heißt, ich habe
meinen Finger auf seine unterdrückten Bedürfnisse gelegt.“
Ich habe mit Patienten gesprochen, die
glaubten, sie seien durch die Primärtherapie, die sie an anderen Orten
erhielten, übel geschädigt worden. Als sie beschrieben, was in ihrer
„schlechten“ Therapie geschah, wurde mir zunehmend bewusst, auf welche Weise
sie eine Menge Anweisungen und Kontrolle erhielten. Man drängte sie an Orte,
für die sie noch gar nicht bereit waren; und sie waren in ständigem Streit mit
ihren Therapeuten, die darauf erpicht waren, etwas zu tun, das sie schlau
scheinen ließ, oder die ihr Bedürfnis ausagierten, helfen zu wollen.
In der direktiven Primärtherapie könnte man
Dir sagen, sollst an Deiner Scheiße arbeiten und Deine Mami oder Deinen Papi
anbrüllen. Der Patient, der ursprünglich durch elterliche Anweisungen gespalten
wurde, wird jetzt wieder durch therapeutische Instruktionen, Analyse und
Interpretationen gespalten. Wenn du gesagt bekommst, du sollst tief atmen,
schreien und dich auf deinen Körper konzentrieren, dann bedeutet das, dass dein
Verstand angewiesen wird, deinen Körper zu steuern. Das weitet den Spalt
zwischen Körper und Psyche. Direktive Primärtherapie ist ein Karussell, bei dem
Manipulationen, Instruktionen und Techniken benutzt werden für den Versuch,
Blockaden zu entfernen, die durch frühere Manipulationen, Instruktionen und
Techniken verursacht wurden.
In der direktiven Primärtherapie macht der
Therapeut so viel, bringt aber so wenig zustande. Der Therapeut zweifelt nie
und versucht immer was. Zum Beispiel wird der Patient, der wie ein Gegenstand
behandelt wird, oft mit ausgebreiteten Gliedern hingelegt. In der natürlichen
Primärtherapie macht der Therapeut so wenig, leistet aber so viel. Im
Zweifelsfall macht der Therapeut nichts. Der Patient ist eine Person, die ihre
eigene Position gemäß ihren Gefühlen findet.
Was der direktive Therapeut zustande zu
bringen versucht, wenn ein Patient „gesprengt“ wird oder seine Abwehr
attackiert wird, das bringt der natürliche Primärtherapeut unaufdringlich
zustande, indem er „gradlinig“ ist.
In der natürlichen Primärtherapie hilft
Übertragung dabei, dass du deinen Schmerz fühlst; wogegen sie in der
direktiven Primärtherapie zum Problem wird. Der Grund ist, dass du außerhalb der
Sequenz zu elterlichen Gefühlen getrieben wirst; und du agierst deinen
Schmerz in einem endlosen Kreis aus.
Obwohl natürliche Primärtherapie einfach
scheinen könnte, sind die Anforderungen an den Therapeuten hoch, und er/sie
sollte deshalb fühlen können und nicht abgewehrt sein. Das wird am besten in
einem Zentrum verwirklicht, wo es für die Therapeuten leichter ist, (1) ihre
eigenen Gefühls-Sitzungen zu haben, (2) gelegentlich zum Patient zu werden, (3)
die nötige Freizeit zu bekommen und (4) einen Patienten einem anderen
Therapeuten zuzuweisen.
Manchmal wird der natürliche Therapeut
direktiv sein; zum Beispiel könnte ein Patient, der sich leer fühlt und ein
Kissen umarmt, gebeten werden, das Kissen aufzugeben und seine Leere zu fühlen.
In der natürlichen Primärtherapie hilft man
dem Patienten, tiefer in seine Gefühle zu gehen, indem der Therapeut (1) für
den Patienten da ist, (2) ein guter Zuhörer ist, (3) völlig akzeptierend ist
und (4) den Patienten zu einer Person sprechen lässt, als wäre sie im Raum.
(Für den direktiven Therapeuten ist es unmöglich, völlig akzeptierend zu sein,
weil Anweisungen die Implikation der Nichtakzeptanz mit sich tragen.)
Ich kenne einige Primärtherapeuten, die
zuerst eine Menge Anweisungen gegeben haben, die aber aus ihren Fehlern gelernt
haben und jetzt weniger direktiv sind. Aber ein Therapeut praktiziert noch
immer direktive Primärtherapie, wenn er (1) die Verantwortung dafür übernimmt,
seinen Patienten in Gefühle zu bringen, (2) seinen Patienten zu früheren
Gefühlen zurücklenkt, (3) seinem Patienten mit Analyse hilft, (4) die Abwehr
seines Patienten niederreißt.
Ich würde jede vielschichtige Methode
(Primärtherapie mit Drogen, Encounter, Psychodrama, Rolfing, etc. kombinieren)
als direktive Primärtherapie betrachten – die zu einer stagnierenden
Fehler-Quelle wird, in der jeder neue Fehler noch schlimmer wird. Natürliche
Primärtherapie ist wie ein Bachlauf. Wird ein Fehler gemacht, klärt sich der
Bach schließlich selbst.
Übersetzung: Ferdinand Wagner