Was Ungeborene wahrnehmen

Wolfgang H. Hollweg

TEIL I

Die Entdeckung der «endogenen Wahrnehmung»
in der Regression


In dieser Abhandlung spielen die Erfahrungen mit der Regression eine entscheidende Rolle. Deshalb müssen wir uns zunächst klarmachen, was wir unter «Regression» genau zu verstehen haben. Viele Leser dieses Aufsatzes haben gewiss schon von «Rückführung» gehört, sich vielleicht schon einmal etwas damit beschäftigt, und könnten nun meinen, dass Regression und Rückführung dasselbe seien. Das aber ist absolut nicht der Fall. Die Regression, die zum Bereich des wissenschaftlich Nachprüfbaren zu zählen ist, und die Rückführung, die im Bereich der Esoterik angesiedelt ist, stehen ihrem Wesen nach zueinander sogar in einem krassen Gegensatz. Wir können den Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen bereits an ihrer Wortbedeutung ablesen: «Regression» kommt von einem lateinischen Wort, das «zurückschreiten, zurückgehen» bedeutet. Das aber ist eine Tätigkeit des Patienten selbst - auch dann, wenn ihm der Therapeut mit einer bestimmten Technik dabei behilflich ist. «Rückführung») hingegen bedeutet aus der Sicht des Patienten, dass er von seinem Therapeuten «zurückgeführt wird», wobei sowohl das Maß als auch das Ziel des Rückführungs-Prozesses in dessen Hand liegt. Während der Patient bei der Regression also selbst aktiv ist, nämlich auf dem Weg über sein eigenes Unbewusstes, bleibt er bei der Rückführung weitgehend passiv, der Klugheit und Einsicht seines Therapeuten überantwortet, ihr im Extrernfall sogar ausgeliefert.

In der Regressions-Therapie, die eine echte Ganzheits-Therapie ist, setzen wir grundsätzlich bei spontanen Erinnerungen an und führen diese mit Hilfe verschiedener therapeutischer Regressions-Techniken zur vollen Bewusstwerdung vorgeburtlicher, geburtsbezogener und nachgeburtlicher traumatischer Schädigungen, und zwar auf allen drei Seinsebenen: Körper, Seele und Geist.

Spontane Erinnerungen an pränatale (vorgeburtliche), perinatale (im Zusammenhang mit der Geburt stehende) und frühe postnatale (kurz nach der Geburt erfolgte) Ereignisse, die das Leben bedroht haben, kommen außerhalb der Therapie relativ selten vor. Wenn bei dem einen oder anderen Menschen jedoch einmal klare Bilder aus dieser frühen Zeit vor dem geistigen Auge auftauchen, so bieten sie das verdrängte Material am unverfälschtesten an. Im allgemeinen bedarf es, um zu klaren Erinnerungen zu kommen, bestimmter Regressions-Techniken, mit denen wir uns im folgenden kurz beschäftigen müssen.

Zunächst müssen wir aber einen kurzen Abstecher in das Gebiet der Geologie unternehmen. Wenn wir einen großen Steinbruch oder etwa hier bei uns in den Alpen eine hohe Felswand untersuchen, so finden wir dort oft eine Menge von Versteinerungen aus Zeiten, die um Jahrmillionen zurückliegen können. Geologen, die sich damit auskennen, können an der Unterschiedlichkeit der Versteinerungen recht genau ablesen, in welcher erdgeschichtlichen Zeit die einzelnen Felsschichten entstanden sind. Sie bezeichnen deshalb diese «Fossilien» (Versteinerungen) als «Leitfossilien», weil die Art dieser Fossilien sie zu den verschiedenen Jahrmillionen zurückleitet.

Wer vor, bei oder kurz nach seiner Geburt schwerwiegende Schäden erlitten hat, die grundsätzlich immer den ganzen Menschen nach Leib, Seele und Geist betroffen haben, der hat deutliche Symptome entwickelt, die oft ganz charakteristisch für die Zeit und die Art ihrer Entstehung sind. Weil sie an das pränatal, perinatal und/oder postnatal (vorgeburtlich, bei der Geburt und/oder nachgeburtlich) Geschehene erinnern, bezeichnen wir diese Art von Symptomen als «Erinnerungssymptome».

Erkennbar sind Erinnerungssymptome nur bei konsequenter ganzheitlicher Betrachtungsweise und bei Anwendung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren, die mit der Regression arbeiten. Praktisch kann sich nämlich jede Art von Symptom als Erinnerungssymptom erweisen. Erst eine Diagnostik, die den tiefsten Ursprung (die «Ätiologie») eines Erkrankungsprozesses mit Sicherheit aufzudecken in der Lage ist, vermag zu entscheiden, um welche Art von Symptomatik es sich handelt.

Solche Erinnerungssymptome sind also wie «Leitfossilien», die uns zu den verdrän gten Katastrophen unserer Vergangenheit zurückführen, wenn es uns mit Hilfe von Diagnose und Therapie gelingt, sie zum «sprechen» zu bringen. Damit sind wir bei der Frage nach der Regressions-Therapie, ihrer Entdeckung, Entwicklung und ihren Möglichkeiten angelangt. Dazu möchte ich einige Auszüge aus dem 21. Kapitel meines Buches «Von der Wahrheit, die üfrei macht. Erfahrungen mit der Tiefenpsychollogischen Basis-Therapie.» zitieren:

«Frühe persönliche Erfahrungen und meine Erwartungen an die Psychotherapie.

«Psychotherapie» begann für mich damit, dass ein etwa drei jahre äIterer Freund 1945, kurz nach Kriegsende, aus britischer Gefangenschaft zurückkehrte. Er hatte sich im Gefangenenlager in England ein wenig mit der Vorgeschichte, Theorie und Praxis der Psychoanalyse beschäftigt und seinem Lagerarzt, einem Psychiater und Freudschen Psychoanalytiker, der sich seiner besonders angenommen hatte, über die Schulter geschaut. Für den damals erst achtzehnjährigen Arztsohn war das natürlich aufregend, und für mich als gerade Fünfzehnjährigen, als er mir davon berichtete, nicht minder. Also experimentierten wir miteinander mit der «Psychoanalyse».

Diese meine erste Psychoanalyse, die ich immer als meine «wilde)> Analyse bezeichne, hatte einen ganz überraschenden Erfolg:

In einer meiner ersten «Analyse-Sitzungen», genauer gesagt, was mein Freund und ich für Analyse hielten, erlebte ich folgendes:

«Ich höre Musik. Es sind die Klänge eines Harmoniums. Ich weiß, dass der Spieler mein Onkel ist, der Bruder meiner Mutter. Dann höre ich, dass eine ganze Gemeinde dazu vierstimmig singt. Ich nehme mich im Gottesdienst der Gemeinde meiner Eltern wahr, aber ich sehe mich dort nicht auf der Bank sitzen. (Die Familien meiner Eltern gehörten einer baptistisch gesinnten evangelischen Gemeinde an, die ihren Betsaal im Hause meines mütterlichen Großvaters hatte.) Ich überblicke den ganzen Saal, sehe meinen Onkel, sehe meinen Vater, aber weder mich selbst noch meine Mutter. Plötzlich fühle ich mich ganz winzig klein - und entdecke mich im Leib meiner schwangeren Mutter. Sie weint, aber nicht traurig, sondern voll hoffnungsvoller Liebe. Ich sehe sie von außen: ihr Gesicht, ihre beschlagene starke Brille, die sie immer wieder putzen muss, ihr Umstandskleid, und spüre, wie sie sich von dem gesungenen Lied aufnehmen und tragen lässt. Und plötzlich spüre ich, worum es in diesem Augenblick und in jedem sonntäglichen Gottesdienst, den sie nach Möglichkeit nie versäumt, geht: um sie und um mich. Sie will ihr Kind zur Welt bringen, weil es ein wesentlicher Inhalt ihres Glaubens ist, dass Kinder ein Geschenk Gottes sind. Aber sie hat Angst, sehr große Angst, dass sie die Geburt mit ihrem Leben bezahlen muss. In den Gottesdiensten, in denen sie diese Angst im Gebet vor Gott trägt versucht sie, sich auf dieses ihr vorbestimmte Schicksal vorzubereiten., es anzunehmen. Ich gehe aus dieser Sitzung mit tiefer Erschütterung heraus, die noch sehr lange nachwirkt.»

Erst sehr viel später, als ich bereits studierte, habe ich meine Mutter nach dem Wahrheitsgehalt dieses Erlebnisses befragt. Ich erfuhr, dass ihr der Hausarzt dringend geraten hatte, kein Kind mehr zu bekommen. Meine älteste Schwester, die acht jahre älter ist als ich, war als Beckenendlage «Steißgeburt» zur Welt gekommen - was in jedem Fall für beide Seiten eine schwere Geburt bedeutete. Meine zweite Schwester wurde zwei Jahre später zu Beginn des achten Schwangerschaftsmonats geboren. Sie war sehr schwach und zart und sehr lange das Sorgenkind meiner Eltern. Von ihr habe ich später immer scherzhaft gesagt, meine Mutter habe sie, um Komplikationen zu vermeiden, früh genug aus ihrem Leib «herausgeworfen». Ja, und dann meldete ich mich sechs Jahre später an, ganz ungewollt und unerwartet.

Wenn ich auf diese frühe therapeutische Erfahrung und auf diesen Teil meiner frühesten Lebensgeschichte zurückblicke, so haben sie eines gemeinsam: Beide waren denkbar früh, beide waren von tiefen, aber positiven Erschütterungen begleitet, beide haben mein Leben bis zur Gegenwart unwiderruflich geprägt.

Die beiden für mich wichtigsten therapeutischen Erfahrungen mit 15 Jahren haben meine Vorstellungen von einer wirksamen Psychotherapie und meine Erwartungen an meine spätere eigene therapeutische Arbeit so tief beeinflusst, dass ich meine beiden Lehranalysen daran gemessen habe und meine Arbeit, ja jede Psychotherapie überhaupt, noch heute daran messe». (Ende des Zitats).

Was ich in der geschilderten Sitzung meiner «wilden» Analyse und in vielen ähnlich verlaufenden Erfahrungen erlebte, war eine «spontane Regression, das exakte Wiedererleben eines sehr frühen Ereignisses aus meiner Lebensgeschichte, in diesern Fall aus meiner vorgeburtlichen Zeit. Weitere regressive Erinnerungen, auch an meine Geburt und die erste Zeit danach, folgten. Die will ich hier zunächst übergehen. Für die weitere Entwicklung der Regress ions-Therapie spielte meine Ausbildung in der Psychoanalyse eine besonders wichtige Rolle.

Dazu muss ich daran erinnern, dass meine «wilde» Analyse mit 15 Jahren und deren Erfolge letztlich auf einem Missverständnis beruhten, nämlich einerseits auf mangelhafter Kenntnis meines achtzehnjährigen Freundes und «Psychoanalytikers», und andererseits auf meiner Erfahrung und Vorstellung, dass spontane Regressionen zum Wesen der Psychoanalyse gehören würden.

Umso enttäuschter war ich, als ich nach Abschluss meines Studiums, in dem ich von regressiven Zuständen nur im Zusammenhang mit der Hypnose gehört hatte, in München meine Ausbildung in der Psychoanalyse begann (in der Kinderpsychotherapie bei Eva-Brigitte Aschenheim und in der Erwachsenen­Analyse bei Fritz Riemann). In beiden Analysen trat jedesmal, wenn ich mich auf die Couch legte, ganz spontan ein Blendungseffekt auf, den sich meine beiden Analytiker nicht erklären konnten. Da ich überhaupt sehr lichtempfindlich war, bei Sonnenschein musste ich grundsätzlich eine Sonnenbrille tragen, verdunkelten beide den Therapieraum. Trotzdem trat die Blendung in jeder Analysestunde auf. Eine Lösung fand dieses Rätsel erst, und zwar verbunden mit einem gründlichen Heilungseffekt, als ich mich einer Selbsterfahrung in der Janovschen Primärtherapie unterzog.

Ich hatte in der Nacht vor dieser Liegung einen intensiven Traum gehabt, in dem ich, mit Skiern an den Füßen, aus einer dunklen und engen Felsenhöhle trete. Draußen ist es blendend hell, denn die Sonne scheint gleißend auf die Schneelandschaft. Ich schließe reflexartig die Augen. Ich weiß, dass ich einen steilen Hang hinunterfahren muss, doch kann ich vor Blendung den Abgrund unter mir nicht sehen. Ich habe große Angst und erwache.

In der nachfolgenden primärtherapeutischen Liegung gehe ich so mit diesem Traum um, wie ich das viele jahre zuvor bereits bei meiner «wilden Analyse» getan habe. Ich sammle und berichte dazu keine Einfälle, sondern vergegenwärtige mir die Traumbilder und lasse mich voll ein auf die erlebten Gefühle von unerträglicher Blendung und Angst vor dem bedrohlichen Abgrund. Und plötzlich geschieht etwas ganz Ähnliches wie bei der geschilderten vorgeburtlichen Regression:

«Ich erlebe den letzten Teil meiner Geburt, meine gewaltigen Anstrengungen in dem viel zu engen Geburtskanal, der durch die falsche flache Lagerung meiner Mutter noch dazu abgeknickt war. In dem Augenblick, als mich die Hebamme nach dem Austritt aus der «Lebenspforte» an den Füßen hochhält, mit dem Kopf nach unten, schaue ich auf das von der Julisonne grell beleuchtete weiße Bettlaken, schließe vor der schmerzhaften Blendung reflexartig die Augen und gerate vor dem Unbekannten, vor dem Abgrund unter mir, in Panik. So ist mein erster Schrei ein Schrei des Entsetzens/ nicht ein solcher der Erlösung, wie es hätte sein müssen.

Obwohl ich die Augen fest geschlossen habe, nehme ich die Hebamme ganz exakt bildlich wahr und sehe, wie sie, als sie mich hochhält, meine Füße an den Knöcheln zusammendrückt. Das macht mir Schmerzen. In meinem Kopf und in den Ohren spüre ich von dem einschießenden Blut einen ganz unerträglichen Druck.»

Nach diesem «perinatalen» nun noch ein «postnatales» (frühes nachgeburtliches) regressives Erleben aus der Zeit meiner Selbsterfahrung mit der Primärtherapie, das ich nur anfangs schreckhaft, danach eher positiv erlebt habe:

«Es ist wenige Tage nach meiner Geburt. Ich liege im Kinderwagen und schlafe. Plötzlich spüre ich, dass mich eine nasse Zunge abschleckt. Ein warmer Atem umfängt mich. Ich wache erschreckt auf und sehe einen großen dunklen Hundekopf. Zunächst habe ich Angst, aber sehr bald spüre ich, dass der Hund unseres im gleichen Hause wohnenden Nachbarn nur neugierig ist auf den neuen Hausbewohner und es gut mit mir meint.»

Meine Selbsterfahrung in der Primärtherapie hat die Erfahrungen rneine «wilden Analyse» bestätigt und bekräftigt. An weitergehender Erkenntnis und Entwicklung hat sie allerdings nur wenig erbracht. Dafür war und ist die Primärtherapie zu einseitig auf das Erleben der Gefühle fixiert.

Entscheidende Fortschritte erbrachte erst rneine Auseinandersetzung mit der Rolle der Schmerzen, körperlich, seelisch und geistig, als «Leitfossilien» zu den erlebten vorgeburtlichen, geburtsbezogenen und frühen nachgeburtlichen Katastrophen. Ich erkannte, dass die Konzentration auf diese individuell unterschiedlichen Schmerzen nicht nur deren tiefste Ursachen (die jeweilige «Ätiologie») aufdeckten, sondern darüber hinaus auch die Selbstheilungskräfte der betreffenden Patienten aktivierten.

Ja und dann geschah etwas ganz Unglaubliches, das für die Weiterentwicklung der Regressions-Therapie von ganz ausschlaggebender Bedeutung wurde. Ich stellte bei meinen Patienten fest und konnte das in vielen Fällen von deren Angehörigen auch bestätigt finden, dass die Wahrnehmungen von allen ungeborenen Kindern, so wie ich das bei mir selbst erlebt hatte, akustisch, bildlich und äußerst exakt sind, dass sie bis zur Zeugung zurückreichen und die bildliche und akustische Wahrnehmung der Mutter und ihrer näheren Umgebung einschließen, und dass alle Erlebnisse von Belang auch gespeichert werden. Wir bezeichnen diese Art der Wahrnehmung als «endogene Wahrnehmung».

Wir unterscheiden die «endogene» von der «exogenen» Wahrnehmung. Die «exogene» Wahrnehmung entspricht dem, was wir gemeinhin als «sinnliche» Wahrnehmung bezeichnen. Bilder, Geräusche, Gerüche etc. werden von den Sinnen aufgenornmen und dem Gehirn zur Verarbeitung zugeleitet. Die Bewegung der Wahrnehmung geht von außen nach innen, weshalb wir sie als «exogen» (von außen kornmend) bezeichnen. Im Gegensatz dazu ist die «endogene» (von innen kommende) Wahrnehmung eine Leistung unseres Gehirns, eine «innere», «vor-sinnliche» Wahrnehmung, die sich erst im nachhinein den Sinnen mitteilt und erst dadurch wie eine Sinnesleistung empfunden wird.

Die endogene Wahrnehmung hat mehrere Seiten, die nicht voneinander zu trennen sind. Ihre Besonderheit ist nicht nur darin zu sehen, dass Ungeborene, Säuglinge und Kleinkinder ihre Umwelt sehr genau wahrnehmen und die sie selbst angehenden Vorgänge, ganz besonders die sie betreffenden Schädigungen und Verletzungen und deren Zusammenhänge wahrnehmen und lebenslang speichern, sondern als betroffene Erwachsene bei der Erneuerung dieser Wahrnehmung in der Therapie dazu in der Lage sind, die sehr weit zurückliegenden Ereignisse «wie eine frische Sinnesleistung» (Dr.med. Reinhold Hildmann, Arzt, Psychoanalytiker und Psychotherapeut in Freiburg) zu empfinden, z.B. zu «hören», zu «sehen», zu «riechen», zu «schmecken» und zu «fühlen» und auf these Weise aufzudecken. Darüber hinaus können die Betroffenen mit der endogenen Wahrnehmung jedes Organ, jede Zelle ihres Körpers, bis in ihre feinsten Strukturen hinein, «sehen» und auf ihre Funktionen hin überprüfen.

Darüber hinaus zeigte sich sehr bald, dass die «endogene Wahrnehmung» noch weitere Überraschungen bereit hielt, die von großer therapeutischer Bedeutung sind. Patienten, die im Verlauf der Regressions-Therapie mehr und mehr den Zugang zur endogenen Wahrnehmung, die sie ja als Ungeborene einmal besessen hatten, zurückgewannen, konnten auch ihre eigenen Selbstheilungskräfte «sehen» und steuern.

«Regression» und «endogene Wahrnehmung»

Aus meinem fünften Buch: Von der Wahrheit, die frei macht. Erfahrungen mit der Tiefenpsychologischen Basis-Therapie.» Daraus habe ich einen kurzen Abschnitt ausgewähIt, der andeutungsweise die Phänomene der «Regression» und der «endogenen Wahrnehmung» und ihren Zusammenhang beschreiben und verdeutlichen kann:

«Von Lesern meiner Bücher und Hörern meiner Vorträge wird manchmal die Frage gestellt, ob es sich bei jenen Phänomenen, die ich als «endogene Wahrnehmung» bezeichne, nicht doch um bloße Vorstellungen und Phantasien meiner Patienten handeln könne. Vielen Menschen fällt es sehr schwer zu akzeptieren, dass ungeborene Kinder so viel von ihren Eltern und Geschwistern, vor allem von ihren Müttern, wahrnehmen und abrufbar speichern. Es macht ihnen Angst. Dazu teile ich hier ein Beispiel aus meiner Praxis mit, das ich, meiner Erinnerung nach, noch im Jahr der Eröffnung meiner Praxis bei einem Patienten erlebte und das mich besonders, stark beeindruckt hat. Damals arbeitete ich noch überwiegend nach der Methode der klassischen Psychoanalyse, also u.a. mit der Analyse von Träunen.

Der Patient Harald, wenig über 20 Jahre alt, erzählt mir einen ungewöhnlich langen, sehr konkret-bildhaften und in seinem szenischen Ablauf sehr ausführlichen Traum der in einer mittelalterlichen Stadt spielt. Als ich ihn auffordere, mir seine Einfälle zu den Traumbildern mitzuteilen, kann er das zunächst nicht. Er kann sich nämlich von dem Traum nicht lösen, sondern spinnt den Faden ständig weiter. Er erzählt mir, über mehrere Sitzungen hinweg, einen ganzen «Roman». Den Sinn dieser langen Story und deren Bedeutung für meinen Patienten kann ich zunächst nicht erfassen so sehr ich mich darum auch bemühe.

Damals spielte die Vorstellung von Reinkarnation noch keine Rolle. Aber ein mit der «Rückführung» arbeitender Kollege von heute hätte seine helle Freude an dieser Geschichte und würde vielleicht sogar konkret nach der beschriebenen Stadt suchen. Ich habe damals einen ganz anderen Weg eingeschlagen und Harald gebeten, sich damit zu beschäftigen, welcher gegenwärtige Mensch seiner Umgebung denn mit dieser Geschichte zu tun habe. Die Antwort kommt überraschend schnell: seine Mutter und er selbst.

Mit dieser seiner Äußerung durchbricht der Patient seine Abwehrmauer. Er hat plötzlich ein klares Bild vor Augen. Er sieht seine schwangere Mutter mit einem Buch im Bett liegen und lesen. Er spürt ihr Interesse, ihre Erregung, ihre Erschütterung und auch ihre beträchtlichen Ängste. Jetzt ist es ihm völlig klar: Er hat den Romantext mitsamt den Phantasiebildern, die sich seine Mutter dazu gemacht hat, aufgenommen und gespeichert. Und er spürt auch, warum er das so tun musste. Die ängstliche Erregung seiner Mutter hat ihn aus der Ruhe gebracht, hat ihn in ihren Bann gezogen, hat ihn unter beträchtlichen Druck gesetzt, hat ihm selber Angst gemacht. Der Traum und seine Bearbeitung in der Therapie ist für ihn eine Chance, das pränatale (vorgeburtliche) Trauma aufzuarbeiten.

Es bleibt noch nachzutragen, dass der Patient seine Mutter sofort befragt hat und von ihr die Antwort bekam, dass sie tatsächlich einen solchen Roman während der Schwangerschaft, die sie als langweilig empfunden habe, gelesen hatte. Sie teilte ihm sogar den Buchtitel mit. Von der Wirkung ihrer Schwangerschaftslektüre auf ihr noch ungeborenes Kind und über die neurotischen Spätfolgen zeigte sie sich tief betroffen.»

In meiner Praxis habe ich sehr oft mit vorgeburtlich entstandenen Schäden zu tun. Die Erfahrungen der Regressions-Therapie hat mich gelehrt, dass unglaublich viele gegenwärtig ablaufende Erkrankungsprozesse auf Scädigungen, auf Traumata zurückgehen, die in der frühen und frühesten Lebenszeit entstanden sind, durch Verdrängung und Abspaltung überlebt wurden und sich im Verlauf des späteren Lebens in Form von sehr unterschied-lichen Erkrankungsprozessen zurückmelden. Vorgeburtliche Erinnerungen gibt es in der Regression sehr häufig. Dadurch ist es möglich, den Ursprung auch solcher Erkrankungen aufzudecken und sie einer gezielten Behandlung zuzuführen, die grundsätzlich vorgeburtlich entstehen. Darüber habe ich inzwischen in sehr vielen Veröffentlichungen berichtet. An dieser Stelle aber will ich bewusst nur zwei nennen, von denen die wenigsten Menschen, auch Ärzte, Heilpraktiker und Psychotherapeuten, auch nur ahnen, dass diese Erkrankungsprozesse vorgeburtlich entstehen und wodurch sie in Gang gesetzt werden. Es handelt sich 1. um die Bechterewsche Erkrankung, bekannt unter dem Namen «Morbus Bechterew», und 2. urn die «Multiple Sklerose», die berüchtigte MS.

Im Juni 1996 war ich einmal im Sender ORF-2 in der Talkshow bei Walter Schiejok eingeladen, in der es urn die Wahrnehmungsfähigkeit von Ungeborenen ging (Titel: «Baby hört mit - was Ungeborene fühlen»). Die Sendung wurde live übertragen. Sie hatte, über Österreich hinaus, ein sehr gutes Echo. Sehr beeindruckt hat mich in der Sendung eine Mutter von drei Kindern, die ihr viertes Kind erwartete. Sie berichtete, dass ihre Kinder sehr häufig ihren Bauch streicheln, die Bewegungen des ungeborenen Kindes verfolgen und mit ihm sprechen würden, so als sei es ein selbstverständlich vollgültiges Familienglied. Und sie als werdende Mutter könne die lebendigen Reaktionen des Ungeborenen genau verfolgen. Nicht zuletzt die Erfahrungen aus dieser Sendung und diejenigen, die ich mit meinen eigenen acht Kindern, insbesonders mit der jüngsten Tochter Anna-Katharina, gemacht habe, haben mich dazu veranlasst, ein sechstes Buch zu schreiben, das sich mit der Geburts­Vorbereitung und Geburts-Begleitung befasst. Daraus lasse ich hier einige Passagen folgen:

Auszug aus meinem Buch:

«Ungeborene haben keine Lobby» (in Vorbereitung)

«Die Bedeutung der Regressions-Therapie und der auf ihr aufbauenden endogenen Wahrehmung für Elternschaft und Geburtshilfe kann man, in einem Satz scherzhaft zusammengefasst, so definieren: Unsere Kinder schauen uns schon bei ihrer eigenen Zeugung, sodann in der ganzen Zeit der Schwangerschaft, bei ihrer Geburt und in der Zeit danach sehr genau auf die Finger. Und was immer sie da «sehen» und «hören», bleibt in ihrem Unbewussten abrufbereit gespeichert!»

«Wenn wir uns nun den frühen psychologischen Kenntnissen über die vorgeburtliche Zeit und das Geburtsgeschehen zuwenden, so ist das Interesse der Menschen an dem, was denn eigentlich vor der Geburt los ist und was da Geheimnisvolles bei der Geburt geschieht, offenbar zu allen Zeiten wach gewesen. Es hat sich allerdings in der östlich-asiatischen Welt viel stärker als in unserer stark rational bestimmten westlichen Kultur bis heute lebendig erhalten. Dass z.B. in China das Lebensalter eines Menschen vom jahr seiner Zeugung an gerechnet wird, zeigt, dass das noch ungeborene Kind nicht als ein anonymes Etwas, als «Embryo» und «Fötus», sondern als vollgültiger Mensch betrachtet wird. Eine gewisse Nähe zu diesem ursprünglichen Empfinden zeigen werdende Mütter auch in unserer Kultur. Mögen Ärzte (und Hebammen?) vielleicht these medizinischen Fachausdrücke benutzen, so sprechen die Schwangeren selbst doch ganz spontan von ihrem «Kind» oder «Baby», und zwar völlig unabhängig von ihrem Bildungsgrad.

Dass in früher Zeit mit einer regen Anteilnahme ungeborener Kinder an der Umwelt ihrer Mütter gerechnet wurde, dafür gibt es einen sehr schönen Beleg im Neuen Testament:

Der Arzt (!) Lukas, der sein Evangelium zwischen den jahren 80 und 90 nach Christi Geburt, also vor etwas mehr als 1.900 Jahren geschrieben hat, schildert im 1. Kapitel seines Berichts (Luk. 1,40-44) den Besuch der mit Jesus schwangeren Maria bei ihrer schwangeren Verwandten Elisabet, der werdenden Mutter Johannes des Täufers: «Sie (Maria) ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib.»

Ca. 1.900 Jahre später: Meine Frau Elisabeth (geschrieben mit einem «H» am Schluss, weil sie so benannt ist nach Elisabeth von Thüringen) ist im 6. Monat mit unserer Tochter Anna-Katharina schwanger. Sie steht am Straßenrand und wartet, bis sie die Straße überqueren kann. Plötzlich entdeckt sie, dass eine andere schwangere Frau, die ihr nicht persönlich bekannt ist, neben ihr steht. Sie schaut interessiert auf den Bauch dieser Frau. In dem Augenblick spürt sie ganz deutliche Kindsbewegungen, wie wir sie in dieser Intensität sonst nur abends, wenn wir zu Bett gehen, zu spüren bekommen, weil wir uns dann mit unserem ungeborenen Kind bewusst und intensiv beschäftigen. Da «hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib». Ungeborene Kinder, das zeigt dieses Zitat aus dem Lukas-Evangelium und zeigen unsere eigenen Beobachtungen, nehmen sehr wohl mit deutlich signalisierten Gefühlen an der Umwelt ihrer Eltern teil.»

Unsere Anna-Katharina, die nie in einem Kinderwagen versteckt war, sondern in einern Tuch getragen wurde, hat diese bewusst kommunikative Haltung kleinen Kindern gegenüber auch nach ihrer Geburt deutlich beibehalten und jedes kleine Kind, das in ihre Nähe kam, auf ihre eigene Weise begrüßt. Als sie sprechen konnte, hat sie Mütter und ältere Geschwister, die ein Baby im Kinderwagen fuhren, kritisch gefragt: «Warurn liegt das Baby denn im Kinderwagen? Das kann doch gar nichts sehen!», Sie spürte, dass die Möglichkeiten dieser Säuglinge und Kleinkinder, am Leben der Umwelt teilzunehmen, erheblich eingeschränkt waren.

Zum Abschluss dieses ersten Teils noch zwei kurze Bemerkungen zur Speicherung:

1. Nichts, aber auch gar nichts geht verloren! Alles ist abrufbar aufgezeichnet, von unserer Zeugung an! Das ist unwiderlegbar zu beweisen, darüber gibt es mehrere hundert Video-Aufnahmen aus meiner Praxis.

2. Aber wo und wie wird gespeichert zu einer Zeit, in der das Gehirn des werdenden Kindes noch gar nicht ausreichend funktionsfähig ist? Dazu gibt es verschiedene Theorien, wovon ich wenigstens zwei kurz erwähnen will, mit denen wir uns in diesem kurzen Aufsatz aber leider nicht näher befassen können. Mit dieser Frage beschäftigen sich hauptsächlich Human-Biologen. Eine dieser Theorien stammt von dem englischen Biologen Rupert Sheldrake, der von der Feld-Theorie ausgeht und sich die Speicherung als eine Art elektro­magnetischer Felder, die er «morphische Felder» nennt, vorstellt. Die zweite Theorie stammt von Marco Bischof, der die Speicherung mit «Biophotonen», dem «Licht in unseren Zellen» (Titel seines Buches) in Zusammenhang bringt. In beiden Fällen muss man davon ausgehen, dass die frühe Speicherung über «morphische Felder» oder «Biophotonen» sich erst im Verlauf der Reifung des Gehirns den Gehirnzellen mitteilt und erst dann endgültig im Gehirn abrufbar gespeichert wird.


Wolfgang H. Hollweg

Psychoanalytiker, Heilpraktiker, ZILGREI-Therapeut
THERAPIEZENTRUM UND LEHRININSTITUT
FÜR HUMAN-BIOLOGISCHE GANZHEITS-MEDIZIN
Eichenweg 1 - Tel.: 08052-90470 - Fax 08052-1522
83226 ASCHAU/Chiemgau (PF)

EMaK www.emak.org ist eine Webseite für Erwachsene Misshandelt als Kinder. Über die Erfahrungen einer misshandelten Kindheit zu sprechen ist oftmals der erste Schritt auf einem langen Weg die unsichtbaren Wunden zu heilen.

-- Sieglinde W. Alexander


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